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Arbeiter erwarteten ihn am Bahnhöfe und bewill kommneten ihn mit Blumensträufsen. Er selbst durchschritt die Stadt, indem eine Zahl Berg leute vorangingen, welche Fahnen trugen. Trotz dieser Begeisterung riethen aber mehrere Schreier auf das lebhafteste von jeder Wiederauf nahme der Arbeit ab und bezeichneten die von der Gesellschaft bewilligten Zugeständnisse als unzulänglich. Sie verlangten eine noch gröfsere Erhöhung der Löhne. Schliefslich entschied man sich dazu, eine grofse öffentliche Versammlung in der Schlachthalle abzuhalten. Petitjean, welcher in Decazeville mit dem selben Zuge wie Basly angekommen war, war seinerseits von der Gesellschaft beauftragt worden, die von ihr zugesagten Zugeständnisse auf dem Wege des Maucranschlages zur Kenntnifs der Arbeiter zu bringen. In der Versammlung in der Schlachthalle, welcher 1600 Arbeiter beiwohnten beschwor Basly, nachdem er einen historischen Abrifs der Arbeitseinstellung gegeben hatte, die Bergleute, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, mit ebensolcher Inständigkeit, als er bis dabin zum hartnäckigen Widerstand aufgefordert hatte. Nach mehreren Reden verschiedener Sprecher nahm die Versammlung zwei Beschlüsse an, deren erster folgendermafsen lautet: „Die in der allge meinen Versammlung von Sonnabend den 12. Juni anwesenden Bergarbeiter erklären • für den Augen blick, die von der neuen Bergwerks- und Hütten- Gesellschaft des Aveyron durch Maueranschlag vom selben Tage gemachten Bedingungen anzu nehmen. Sie entscheiden sich dafür, dafs sie am Montag den 14. Juni die Arbeit wieder auf nehmen wollen.“ In dem zweiten Beschlusse tadelten die Streikenden die Einmischung der öffentlichen Gewalt, beglückwünschten die Depu- tirten der Arbeiterpartei und forderten das Mini sterium auf, den Vertheidigern der Arbeitersache, den Vertretern der Presse, Duc-Quercy und Roche und auch dem Bergarbeiter Soubrie die Thüren ihrer Gefängnisse zu öffnen. Die Sitzung wurde unter dem Beifall aller Anwesenden aufgehoben. Der Ausstand, welcher 108 Tage gedauert hatte, war endlich beendigt. Abgesehen von ihrer langen Dauer unterscheidet sich die von uns geschilderte Arbeitseinstellung von Decazeville von ähnlichen in Anzin und Monceau ' stattgehabten Vorgängen im ganzen eigentlich nur dadurch, dafs sie durch ein Ver brechen besudelt worden ist. In einer Zeit wie die unsere hat die That- sache einer Arbeitseinstellung nichts Aufserge- wöhnliches an sich. In allen Ländern und unter allen Regierungsformen werden Arbeitseinstellun gen stets vorkommen. Was aber die Arbeitsein stellung von Decazeville kennzeichnet, sind die Haltung der Fortschrittspartei der franzö sischen Kammer und die unvorsichtigen Erklä rungen einiger Minister. In den parlamentarischen Sitzungen im Palais-Bourbon und ebenso auch auf den aufserparlamentarischen Versammlungen in Decazeville konnten die Arbeiter hören, wie Mitglieder der. Kammer ohne Unterlafs ihre Sympathie für die Streikenden des Aveyron, welche sie als Sclaven bezeichneten, kundgaben und wie sie sich gleichzeitig als eingefleischte Gegner der grofsen industriellen Gesellschaften, der Arbeitgeber und aller derjenigen, welche man gemeiniglich unter der Bezeichnung der Geldari stokratie zusammenfafst, hinstellten. Abgesehen davon, dafs es lächerlich erscheint, da unaufhör lich von stolzen Geldbaronen zu sprechen, wo es sich um eine Gesellschaft handelt, deren Actien heute in demokratischer Weise unter allen Ge sellschaftsklassen vertheilt sind, so erscheint es höchst beunruhigend, wenn man sieht, dafs die Gesetzgeber selbst den Hafs zwischen Arbeitern und ihren Herren nähren, anstatt nach friedlichen Mitteln zu suchen, um den Meinungsverschieden- heiten ein Ende zu machen. Während vieler Monate haben politische und parlamentari sche Leidenschaften die wirthschaftliche Frage vollständig verdreht und dadurch jede Verständi gung verhindert. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dafs wir ähnliche Vorgänge in weit stärkerem Mafse erleben werden, sobald neue grofse Arbeitseinstellungen in Frankreich ent stehen sollten. — Zur selben Zeit, in der die Arbeitseinstellung von Decazeville ihren Abschlufs fand, begann der Procefs gegen die Mörder des Ingenieurs Watrin vor dem Schwurgericht zu Rodez. Dank der Ermattung, welche inzwischen die öffentliche Meinung ergriffen hatte,, verlief derselbe ohne be sondere Zwischenfälle. Die erlassenen Urtheile gingen von 8 Jahren Zwangsarbeit bis zu 5 Jahren Gefängnifs. Aus der Vernehmung der Zeugen ging das von uns in unserm ersten Artikel bereits Gesagte hervor, nämlich die Schwäche und Sorglosigkeit des Bürgermeisters von Decazeville. Ein merkwürdiger Bürgermeister, welcher den Gendarmen zuruft: „Scheert Euch zum Teufel!“ als die wüthende Menge das Leben Watrins bedroht; ein solcher Bürgermeister wird der ewige Typus eines Beamten bleiben, den übertriebener Hang nach Volksthümlichkeit un fähig macht. Gayrade hat einen grofsen Antheil an der Schuld des blutigen Dramas, welches er durch ein anderes Verhalten leicht hätte vermei den können.* — Die Arbeitseinstellung von Decazeville wird stets zu einem wichtigen Ereignifs unserer Zeit * Mr. Cayrade ist inzwischen, wie der Figaro meldet, verstorben.