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Curtius sagt ferner: „Hierin (in der Lockerung des geistigen Zusammenhanges derer, die an der Leitung der Staatsgemeinschaft theilzunehmen berufen sind) liegt eine ernstliche Gefahr, die Nie mand verkennen kann. Denn die geistige Führung, zu welcher die Männer der Wissenschaft berufen sind, mufs wesentlich erschwert werden, so wie ihre innere Gemeinschaft sich lockert, und, wie bei einer neuen Sprachverwirrung, die Einen den Anderen unverständlich werden.“ „Dagegen giebt es nur ein Mittel, nämlich dafs wir den gemein samen Boden wissenschaftlicher Erkenntnifs nicht unter den Füfsen verlieren, sondern die Wissen schaften alle ihres gemeinsamen Ursprungs be- wufst bleiben wie Geschwister, welche weit getrennt in verschiedenen Welttheilen und Berufs arten einander fremd geworden sind, im Eltern haus sich wieder eins fühlen.“ Das ist zweifellos richtig, aber wenn die Kenntnifs der klassischen Sprache und der alten Cultur ein werthvolles und schönes Band um die immerhin begrenzte Zahl der Gelehrten aller Völker schlingt, so bildet die auf lebende Sprachen und Literatur, nationale Geschichte und Natur wissenschaften aufgebaute Bildung der Realschule ein nicht minder werthvolles gemeinsames Band leichter Verständigung für Millionen unserer eigenen Volksgenossen, mit denen wir zu gleicher Arbeit im politischen Leben unseres Staates berufen sind. Sie leistet also gerade in dieser Hinsicht dem nationalen Leben sehr viel mehr als die exclusive »Priestersprache« der Gelehrten, sie ist mit einem Wort ein natio nales Vö Iker fer m en t, während jene ein internationales Privileg des ge lehrten Standes sein will und bleiben soll. Unsere Universitäten sind aber nicht allein für die reinen Gelehrten, die Professoren da, sondern gewissermafsen doch auch für — die Studenten! — Dieses ist der innere Rechtsanspruch, auf den gestützt das Realgymnasium seit 30 Jahren an die Thore der Universitäten klopft. Es will den speciellen Gelehrtenberuf der Hochschule nicht schmälern und die altklassische Bildung der Gymnasien nicht verdrängen, aber es fühlt sich mündig und will nicht länger ausgeschlossen werden von seinem Recht. Ein Recht aber ist sein Anspruch auf Gleichberechtigung, denn es ist, wenn auch das jüngste, so doch ein echt deut sches und vollbürtiges Kind unseres Hauses. Soweit war der vorstehende Aufsatz bereits gesetzt, als am 6. März die Interpellation des Hrn. Gymnasialdirectors Schmelzer-Hamm im Abgeordnetenhause stattfand, die der Erwägung des Herrn Ministers anheimgab, ob das Real gymnasium, da es gleichwerthige Ziele und gleich lange Unterrichtsdauer habe wie das Gymnasium, nicht auch gleiche Rechte mit demselben erhalten müsse. Der Herr Minister hat 14 Spalten des steno graphischen Berichtes mit seiner Antwort ge füllt, aber von diesen 14 Spalten beschäftigt sich nur eine halbe mit dem Gegenstände der Interpellation, der Abgangsberechtigung des Realgymnasiums. Der Kernsatz der Antwort lautet: „Wichtiger als die Frage, wie „sich die Realgymnasien gestalten, ist „für mich die Frage, wie ich den Zudrang „zu den Universitäten zurück halten „kann, das ist für mich die aller wich- „tigste Frage.“ Mit dem Realgymnasium bleibt es also einst weilen beim Alten. Anderthalb weitere Spalten handeln über das Einjährigenrecht, be züglich dessen der Minister „den Scharfsinn des Abgeordnetenhauses anrief“, da er leider trotz „Allem, was darüber geschrieben und „gesprochen, zu einem vollen Ent- schlufs noch nicht gekommen sei“, ob gleich die Frage — offenbar im Gegensatz zur vorhergehenden — für ihn von „prak tischer und unmittelbarer Bedeutung ist“. Die übrige Rede — 12 volle Spalten des stenographischen Berichts — handelt von den Schulreformvorschlägen, läuft aber im Resultat ebenfalls darauf hinaus, dafs er bezüglich der Schulreform leider auch noch zu keinem Entschlufs gekommen ist. Es ist das weitläufige Eingehen auf einen speciell schultechnischen, ihm noch nicht spruch reifen Gegenstand, der gar nicht zur Interpellation gehört, vor dem Abgeordnetenhaus nur aus tak tischen Rücksichten zu begreifen, denn ob die Abiturienlenrechte der heutigen Realgymnasien erweitert werden können oder nicht, steht doch nur in einem losen und willkürlichen Zusammen hang mit der vom Minister beabsichtigten Bevor zugung der lateinlosen Schulen mit kürzerer Unterrichtsdauer oder der Erschwerung von Neugründungen weiterer Gymnasien. Allerdings hatten die Redner, welche den Interpellanten, theilweise sehr glücklich, unterstützten, doch nicht alle vermieden, durch Hineinziehen ver schiedener Reformvorschläge dem Minister Ge legenheit zu geben, von dem Kern der Interpel lation rasch auf andere dankbarere Gegen stände überzugehen und von diesen aus um den Beifall des Hauses mit mehr Aussicht auf Erfolg zu werben. Gewifs, die 344 Reformvorschläge kann man ohne Schwierigkeit komisch verwerthen, obschon sicher nicht viele derselben so unsinnig sind, dafs man nicht irgend etwas daraus hätte lernen können. Auf alle Fälle aber beweisen sie doch, dafs man in sehr weiten Kreisen der Bevölkerung, namentlich der gebildeten Klassen, und auch sachverständiger Schulmänner die bestehenden