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Neues zur Schulfrage. Von E. Bernhardi. Es wird allgemach etwas klarer in dem wirren Durcheinander der »Realschulfrage« oder wie es richtiger heifsen müfste: der »Realschul fragen«. Denn es schwirren deren verschiedene durcheinander, verwirren die Köpfe der Bethei ligten wie die Correctheit der Fragestellung und geben dadurch auch solchen lange Zügel, die nach dem berühmten Vorbild der Tapferen des Leonidas lieber im Schatten der feindlichen Pfeile fechten, als in dem allerdings zuweilen blendenden Licht der unverdunkelten Sonne. Hauptsächlich drei von einander sehr ver schiedene und theilweise völlig unabhängige Streitfragen bergen sich in der Toga des Herrn Cultusministers. 1. Der Anspruch des Realgymnasiums auf völlige Gleichstellung mit den Human- gymnasien. 2. Der neuere Anspruch auch der lateinlosen aber 9klassigen Realschule auf Zulassung ihrer Abiturienten zur Universität. 3. Die Reform des Gymnasiums und der höheren Schulen überhaupt. Der Anspruch des Realgymnasiums auf das Recht der Entlassung zur Universität datirt schon aus dem Jahre 1859, wo ihn Wiese bereits als berechtigt anerkennt, man wird also auch ihm demnächst eine Serenade bringen können mit der bekannten schönen Melodie von Wallheims Mantellied: „Schier dreifsig Jahre bist du alt!“ Vier Cultusministerien hat er zur Entscheidung vorgelegen, und alle vier haben entweder gar nichts oder, was noch viel schlimmer ist, nur halbe Mafsregeln für ihn übrig gehabt. Warum? Weil es eben Cultusministerien und nicht Unter richtsministerien waren und weil gerade auf dem Gebiete des Cultus in den letzten zwanzig Jahren, wenigstens in Preufsen und Deutschland, eine Bewegung herrschte so heftig und allgemein, wie sie die Welt seit der Reformation und dem dreifsigjährigen Kriege nicht gesehen hat. Was Wunder, dafs die rechtsgelehrten Minister für Geistliche, Unterrichts- und Medicinal-Angelegen heiten sich vorwiegend und mit ihrer besten Kraft den grofsen weltbewegenden Aufgaben ihres »geistlichen« Amtes widmeten und die rühmlosere und doch sehr mühevolle Aufgabe des schon in § 26 der Verfassung von 1849 verheifsenen Schul - Gesetzes immer wieder als »nicht so eilig« beiseite schoben. Die schultechnischen Fragen sind aufserdem eigener Art; jeder, der selbst die Schule durchgemacht hat, fühlt sich zu einem Urtheil über dieselbe befähigt, und innerhalb gewisser Grenzen ist das auch ganz richtig, sonst würden ja z. B. die höheren Com- munalschulen noch viel schlimmere Erfahrungen machen müssen, wie sie an verschiedenen Stel len jetzt schon machen, und es würden nicht an anderen so sehr zufriedenstellende Resultate der Selbstverwaltung auf dem Gebiete des höheren Schulwesens möglich sein. Aber schon zur Organisirung und Leitung gröfserer Schulverwal tungen reicht diese passive pädagogische Schüler erfahrung nicht aus, noch weniger aber zu tief greifender Reformarbeit und der schwierigen Frage des Werthes der verschiedenen Unterrichts gegenstände, der Lehrmethode und der Erziehungs grundsätze. Dazu gehört eigene Lehrerfahrung, eine immer schwieriger werdende Beherrschung des gesammten Lehrstoffs und vor Allem pädagogischer Beruf, eine Veranlagung, die sehr viel seltener ist, als man vielfach anzunehmen geneigt scheint. Wir müssen unsern Kaiser bitten, dafs er auch auf diesem Gebiet das Werk seines glor reichen Grofsvaters fort und zu Ende führe, der die höhere Schule von der Vormundschaft der Theologie befreit hat und als staatliche Einrich tung betrachtet und gehalten wissen wollte. Der letzte äufsere Rest jener Auffassung, welche die Regierungen seiner Vorgänger bis auf Friedrich 11. erfüllte, dafs die Schule eine mehr oder weniger kirchliche Einrichtung sein müsse, besteht in der Verbindung des preufsischen Unterrichts-Ministe riums mit dem des Cultus, eine Verbindung, die nur bei ganz eigenartiger Veranlagung des In habers für die Schule nicht ungünstig und nicht verhängnifsvoll wirken kann, die für die Verschärfung des Culturkampfes ein sehr belasten des Moment gewesen ist und in dem neuerdings in Scene gesetzten »Kampf um die Schule« die Stellung der Staatsregierung so schief, die der kirchlichen Eiferer so günstig wie möglich ge staltet. Man beantworte sich einmal ruhig und praktisch ohne »Feinheiten« und Silbenstechereien folgende Fragen : Ist ein katholischer Cultusminister in Preufsen denkbar? Ist dagegen ein katholischer Unterrichts minister in Preufsen irgendwie auch nur weniger zulässig als ein katholischer Kriegs- oder Justiz minister oder General ? Kann die katholische Schule in den ihr eigenthümlichen Verhältnissen — und deren giebt es doch — von einem specifisch evan gelischen Cultusminister, der nebenbei auch die Schule zu besorgen hat, dasjenige Wohl-