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STAHL UND EISEN.“ Juni 1889. Nr. 6. 507 solches Resultat aber nicht, so gewinnt man das j Argument, mit der internationalen Vereinbarung über Arbeiterschutz auf Grundlage der eigenen ■ Gesetzgebung sei man gescheitert, und da dieses zwar unerwünschte aber doch dortseitig hinzu nehmende thatsächliche Ergebnifs einmal vorliege, müsse man die Dinge nehmen, wie sie sind, nicht wie sie sein sollten, und die eigene Gesetzgebung derartig revidiren, dafs die eigene Concurrenz- Fähigkeit dabei bestehen könne. Natürlich supponiren wir nicht, dafs der schweizerische »Staatswille« unter solchen Im pulsen gehandelt hätte, dafs aber Diejenigen, welche diesen Staatswillen auf das Conferenz- project hinlenkten, sich solchen Erwägungen nicht verschlossen haben möchten, dürfte doch recht nahe liegen. Aus ähnlichen Erwägungen mag ! auch die ziemlich starke »Begeisterung« zu er klären sein, welche man, wie schon berührt, in Belgien, wo man durch die Conferenz am Arbeiter schutz vorbeizukommen hofft, und in Oester reich bemerken kann, wo die officiösen Organe, obwohl eine officielle Erklärung der Regierung über ihre Betheiligung noch aussteht, von An beginn an die Weisheit des schweizerischen Voran gehens über den Pappenstiel lobten. Will man aber auch derartigen »politischen« Erwägungen keine Bedeutung beimessen, so müssen doch bei näherer Prüfung des in dem schweize rischen Einladungsschreiben vorgezeichneten Pro gramms weitere Bedenken auftauchen. Dieses Programm umschreibt nämlich nicht nur die auf dem Gebiete des eigentlichen Arbeiterschutzes liegenden Aufgaben, sondern „nach Auffassung des schweizerischen Bundesrathes würde es sich nicht darum handeln, internationale Vereinbarungen einzig im Interesse der Arbeiter und ihrer Familien in Aussicht zu nehmen, sondern es scheinen ihm (dem schweizerischen Bundesrathe) zwei Momente ins Gewicht zu fallen, einerseits eine gewisse Regelung der industriellen Production, anderer seits die Verbesserung der Arbeiterverhältnisse“. Es soll also nicht nur über Arbeiterschutz, sondern auch über »Regelung der industriellen Production« verhandelt und eventuell vereinbart werden, und hinsichtlich dieser »Regelung« weist das Einladungsschreiben darauf hin, „dafs inter nationale Staatsverträge Vielen als das erfolgreichste Mittel erscheinen, um eine Verminderung der über den Bedarf hinausgehenden Waarenerzeugung und der von ihr verursachten Uebel zu erzielen und die gegenseitigen Productionsverhältnisse in natür liche und rationelle Schranken zurückzuführen“. Wenn dieser Vorschlag ernsthaft genommen werden will, so kann dabei doch nur an eine internationale Zunftordnung gedacht sein, in welcher jedem Lande vorgeschrieben würde, was und wieviel es produciren und eventuell verkaufen darf, welche Artikel es gemäfs »rationeller und natürlicher i Schranken« von anderen Ländern zu beziehen | hätte u. s. w., — eine Aussicht, welche wohl kaum viel Verlockendes für diejenigen Länder haben möchte, welche sich der eigenen Kraft und der Möglichkeit ihrer expansiven Bethätigung bewufst sind. Setzt man sich aber auch noch über diese für die gegenseitigen Productionsverhältnisse in Aussicht genommenen, international zu vereinbarenden »na türlichen und rationellen Schranken“ leichten Herzens hinweg, so stöfst man in dem Ein ladungsschreiben auf neue Zweifel, wenn man unter den für den eigentlichen Arbeiterschutz auf geführten Programmpunkten die pice de resistance des schweizerischen Fabrikgesetzes, die Regelung der Arbeitsdauer für erwachsene Männer ver- mifst. Diese Omission dürfte nicht nur zu denken geben, sondern ist geradezu charakteristisch. Denn die fünf sonst in das Programm aufgenommenen Punkte: 1. Verbot der Sonntagsarbeit, 2. Festsetzung eines Minimalalters für die Zu lassung von Kindern in fabrikmäfsigen Be trieben, 3. Festsetzung eines Maximalarbeitstages für jugendliche Arbeiter, 4. Verbot der Beschäftigung von jugendlichen und weiblichen Personen in besonders ge sundheitsschädlichen und gefährlichen Betrie ben, und 5. Beschränkung der Nachtarbeit für jugendliche und weibliche Personen, sind sämmtlich principiell nicht bestritten, wo man überhaupt Arbeiterschutzbestimmungen hat; man wird sogar mit Recht den Schutz der Wöch nerinnen hierunter vermissen. Aber der viel umstrittene Normal- oder auch Maximalarbeitstag für erwachsene Männer ist gerade derjenige Punkt, in welchem uns die Arbeiterschutz-Theoretiker stets das nachahmenswerthe Beispiel der Schweiz vorhalten und diese »Perle« der Arbeiterschutz bestrebungen fehlt im Programm des schweize rischen Bundesrathes! Wenden wir uns den anderen Programm punkten zu, so wollen wir nur eine Frage auf werfen. Im allgemeinen wird ein »Verbot« der Kinderarbeit angestrebt, wozu allerdings zu be stimmen erforderlich ist, bis zu welchem Lebens alter sich dieses Verbot erstrecken soll. Darüber, dafs Kind er-Arbeit am besten verboten würde, ist man im Grunde einig. Der schweizerische Bundesrath will jedoch Kinderarbeit nicht etwa verbieten, sondern zulassen, und nur für fabrik- mäfsige Betriebe ein Minimalalter feststellen. Wie aber soll es mit der Hausindustrie werden? Ist man noch nicht zu directen Verboten der Kinder arbeit gelangt, so trug daran doch wesentlich der Umstand die Schuld, dafs man die Undurchführ barkeit eines gleichen Verbotes für die Haus industrie kannte. An welches Minimalalter aber will man die sogar für fabrikmäfsige Betriebe nach VI» 7