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Juni 1889. auf dem Weltmärkte in Betracht. Arbeiteten die einzelnen nationalen Industrieen ausschliefslich für ihren heimischen Markt, so könnte jedes Land seinen Arbeiterschutz so weitgehend erstrecken, wie ihm gut und angemessen erscheinen würde. Da aber dieser Fall nicht vorliegl, da alle natio nalen Industrieen auf den internationalen Wett bewerb im Weltverkehre angewiesen sind, so kann man bei Regelung des Arbeiterschutzes diesen Umstand nicht aufser Acht lassen, und gerade die Rücksicht hierauf hat den Vorschlag einer inter nationalen Vereinbarung über Arbeiterschutz auf tauchen lassen. Theoretisch ist dieser Vorschlag schon längere Zeil vielfach erwogen worden, und wenn auch im Grunde Niemand bisher anzugeben vermochte, wie er sich eine solche internationale Regelung inhaltlich denke und wie der Vollzug derselben in denjenigen Fällen etwa bewirkt werden könne, in denen derselbe, der getroffenen Abmachung entgegen, nicht freiwillig erfolgen sollte, so ist dennoch das Verlangen nach internationaler Regelung des Ar beiterschutzes zu einem der weitverbreitetsten Schlagworte geworden, mit dem, allerdings nicht nur von socialdemokratischer Seite, Mifsbrauch genug getrieben worden ist, indem gerade Die jenigen am lautesten nach internationalem Arbeiter schutz begehren, die am wenigsten zu dessen Herbeiführung zu thun in der Lage waren und theilweise auch herzlich froh waren, es nicht zu sein. Praktisch hat schon 1881, also vor acht Jahren, einmal die Schweiz versucht, eine solche internationale Regelung in die Hand zu nehmen. Damals ohne jeglichen Erfolg, indem, wenn wir uns recht entsinnen, nur Belgien sich bereit erklärte, die auch damals vorgeschlagene Conferenz zu be schicken. Auch jetzt befand sich Belgien unter denjenigen Ländern, welche zuerst ihre Bereit willigkeit, an der Conferenz theilzunehmen, aus sprachen , was um so merkwürdiger ist, als gerade Belgien hinsichtlich von Arbeiterschutz bestimmungen nur ein leeres Blatt aufzuweisen und schon seit Jahren eine Gesetzesvorlage in den Ausschüssen seiner Kammer begraben hat, ohne dafs irgend eine Aussicht bisher bemerkbar gewesen wäre, dieselbe auch nur einen Schritt weiter kommen zu sehen. Wenn das bisher sich ohne jeglichen Arbeiterschutz behelfende Belgien bemerkbaren Eifer in Annahme der schweizerischen Einladung an den Tag legte, so dürfte hierbei der Wunsch mitgesprochen haben, nicht etwa die beabsichtigten eigenen Arbeiterschutzmafsregeln nach den festzustellenden internationalen Normen zu modeln, sondern die Vortheile der internatio nalen Goncurrenz so lange wie irgend möglich zu geniefsen, welche der schutzlose Zustand der Arbeiter in Belgien der dortigen Industrie bietet. Aufser Belgien haben bisher nur noch Holland und Italien und ganz neuerdings auch Portugal Nr. 6. 505 I ihre Betheiligung an der Conferenz zugesagl; letzteres jedoch nur bedingungsweise, indem es den Vorbehalt machte, sich hinsichtlich der Ausführung der etwaigen Conferenzbeschlüsse in keiner Weise binden zu wollen. Auch diese drei Länder haben bisher keine irgendwie mit den unsrigen in Vergleich zu stellenden Arbeiter schutzbestimmungen getroffen. Von den übrigen Ländern verhält sich England direct ablehnend und Frankreich nicht viel anders. Man hofft jedoch, dieses werde schliefslich von der Partie sein und sich nicht ausschliefsen, wenn nämlich Deutschland und Oesterreich-Ungarn ihre Bethei ligung erklärt haben werden. Dafs dieses ge schehen wird, glaubt man annehmen zu sollen, und was die Betheiligung Deutschlands anbetrifft, so glauben wir eine solche befürworten zu sollen, aus welchen Gründen, wird unsere weitere Ausführung ergeben. Die übrigen Länder: Schwe den und Norwegen, Dänemark und Spanien kommen wegen der geringen Entwicklung ihrer Industrie weniger in Betracht. Für den Fall also, dafs die Conferenz zustande kommt, würden die theilnehmenden Länder nach drei Gruppen zu unterscheiden sein. Die erste Gruppe bilden: Belgien, Italien, Holland und Portugal, welche so gut wie gar keine Arbeiterschutzmafsregeln bisher getroffen haben. Zur zweiten Gruppe würden die Schweiz und Oesterreich zu rechnen sein, welche mit ihrer neueren Gesetzgebung über Ar beiterschutz wesentlich weiter als alle übrigen Länder gegangen sind und namentlich auch für nothwendig erachtet haben, erwachsene männ liche Arbeiter hinsichtlich der Dauer der ihnen zu gestattenden Arbeitszeit zu bevormunden. Zwischen beiden Gruppen würden dann als dritte diejenigen Länder stehen, welche zwar eine ent wickelte Arbeiterschutzgesetzgebung besitzen, vor nehmlich also Deutschland und Frankreich, jedoch nicht so weitgreifende Bestimmungen erlassen haben wie die Länder der zweiten Gruppe. Das zu erwartende Ergebnifs der Conferenz anlangend, so käme vor Allem in Betracht, welcher Charakter deren Beschlüssen beigelegt werden soll. Sind diejenigen Länder, welche die Con- ferenz beschicken, gebunden, die dort per majora oder einstimmig gefafsten Beschlüsse ihrer hei mischen Gesetzgebung einzuverleiben, oder aber bleibt jedem Lande überlassen, von diesen Be schlüssen das ihm Passende auszuführen, das ihm nicht Passende zu ignoriren; und, falls den Be schlüssen obligater Charakter beigelegt werden sollte, welche Instanz wird geschaffen — vor handen ist eine solche nicht —, um die Aus führung der Beschlüsse seitens der einzelnen Länder zu controliren und, wenn nöthig, zu er zwingen? Da jedoch eines der am weitesten hin sichtlich des Erlasses von Arbeiterschutzmafsregeln zurückstehenden Länder, Italien, den schon ge streiften Vorbehalt, sich bezüglich der Ausführung „STAHL UND EISEN.“