Volltext Seite (XML)
April 1889. .STAHL UND EISEN.“ Nr. 4. 27:’. falls — was facultativ vorgesehen ist — die Beiträge für die einzelnen Berufszweige verschieden bemessen werden sollten, für den betreffenden Berufszweig ausgegeben werden. Von anderweitigen Abänderungen ist noch zu erwähnen, dafs die Bestimmung, wonach den jenigen Personen, welche ihre Erwerbsunfähigkeit bei Begehung eines Verbrechens sich zugezogen, ein Theil der Invalidenrente aus Billigkeitsgründen vorübergehend oder dauernd bewilligt werden konnte, aufgehoben ist, sowie dafs die Landes regierungen die Organe der Krankenkassen auf Antrag der Versicherungsanstalten verpflichten können, gegen eine von den letzteren zu gewäh rende Verpflichtung über die in ihren Bezirken sich aufhaltenden Rentenempfänger eine fortlau fende Controle auszuüben. Eine principiell wichtige Aenderung bezieht sich sodann noch auf den § 48, in welchem bestimmt war, dafs für den Bezirk einer jeden Versicherungsanstalt zur Wahrung der Interessen der übrigen Versicherungsanstalten und des Reichs vom Reichskanzler im Einvernehmen mit den betheiligten Bundesstaaten ein Cothmissar bestellt werde. Demgegenüber lautet jetzt § 51, dafs für den Bezirk einer" jeden Versicherungsanstalt von der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Reichskanzler ein Commissar bestellt wird. Das sind die principiell von dem aus den Bundesrathsausschüssen hervorgegangenen Gesetz entwurf abweichenden Bestimmungen der Reichs tagsvorlage. Was nun die Stellungnahme der Gruppe zu dieser Vorlage anbelangt, so ist sie sich ihres Versprechens, an dem Zustandekommen eines Gesetzes, betreffend die Alters- und Invaliditäts versicherung der Arbeiter, ehrlich mitarbeiten zu wollen, bewufst geblieben, hat aber doch manche schwerwiegende Bedenken gegen die genannte Vorlage und noch mehr gegen die derselben in der Reichstagscommission zu theil gewordene Behandlung nicht zu unterdrücken vermocht. Während der Herr Staatssecretär v. Bötticher erklärte, dafs die Reichsregierung überall da eine ehrliche Verständigung mit den betheiligten Kreisen wolle, „wo Uebertriebenes oder Unausführbares oder für den Anfang allzu Kühnes nicht verlangt werde“, hat sich der Reichstag bezw. seine Com mission nicht überall an dieses Wort erinnert. Es ist vielmehr schon viel Uebertriebenes, Un ausführbares und für den Anfang allzu Kühnes gefordert worden. Auch herrscht, wie es scheint, bei einigen Herren eine übertriebene Eile vor, den Gesetzentwurf unter Dach zu bringen, was kaum zu billigen sein dürfte; denn ohne Zweifel müfste es für ein grofses Unglück erachtet werden, wenn ohne sorgsamste Erwägung aller Gesichtspunkte in zu grofser Hast an diesem Werke gearbeitet und nachher ein Gesetz zustande ge bracht würde, dessen Durchführung Schwierig keiten verursachte. Denn darüber darf man sich doch nicht im unklaren bleiben, dafs bei einer solchen Gesetzgebung, für die wir ein Vorbild bei keinem andern Volke haben, doppelte Vorsicht noth thut, weil sie uns in ein dunkles Gebiet führt, aus dem es ein Rückwärtsschreiten nicht giebt. Was zunächst die Festsetzung der Rente und der Altersgrenze betrifft, so hat die Gruppe über das in der Regierungsvorlage Geforderte nicht hinausgehen zu sollen geglaubt. Es ist ja darüber kein Zweifel, dafs derjenige im Lichte gröfserer Arbeiterfreundlichkeit erscheint, welcher die Rentensätze höher bemessen und sie dem Arbeiter möglichst früh zugewendet sehen will; ob er aber in Wirklichkeit ein gröfserer Freund der Arbeiter ist, das dürfte doch sehr die Frage sein. Bei einer so neuen, das Wirthschaftsleben unserer Nation mit so grofsen Opfern belastenden Gesetzgebung ist derjenige ohne Zweifel der gröfste Freund der Arbeiter, welcher ruhig er wägt, wieviel das Wirthschaftsleben der Nation tragen kann, ohne zu Grunde zu gehen; denn wenn unsere Industrie, namentlich was ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmärkte anbe langt, durch zu grofse Lasten zum Erliegen kommen sollte, dann werden die weitgehendsten socialpolitischen Gesetze für den Arbeiter ein Fluch, statt eines Segens. Wenn der Arbeiter keine lohnende Arbeit mehr findet, weil der Arbeit geber ihm keine Arbeitsgelegenheit bieten kann, dann nützen ihm die besten socialpolitischen Ge setze nichts. Eine vorsichtige Bemessung der Rentenhöhe liegt daher ganz gewifs auch im Interesse des Arbeiters selbst. In die Höhe setzen können wir die Rente zudem immer noch, während eine Verringerung der Sätze unthunlich erscheint. Bezüglich des Vorschlages, die Ren tenfestsetzung nach Individuallöhnen vorzunehmen, der ja auf den ersten Anblick manche Vorzüge zu haben scheint, verhielt sich die Gruppe aus verschie denen Gründen durchaus ablehnend. Es scheint für diesen Vorschlag die Ansicht mafsgebend gewesen zu sein, dafs die Individuallöhne derselben Branche eine gewisse Regelmäfsigkeit zeigen, was gar nicht der Fall ist; denn ein Blick in jede Lohn liste überzeugt uns, dafs in demselben Bergwerks betriebe der eine Häuer pro Schicht 3 J, der andere 5 •46 und mehr verdient, dafs in derselben Giefserei ein Former 2 •6 70 8, der andere 6 46 Lohn hat, dafs in derselben Spinnerei die eine Hasplerin einen Wochenlohn von 18 e%, die andere einen solchen von nur 9 •46 hat. Dieser Umstand würde also der Festsetzung der Rente bezw. der Bemessung der Beiträge nach Individuallöhnen grofse Schwierigkeiten bereiten. Gegen die Abstufung nach Lohnklassen führte der Staatssecretär Hr. v. Bötticher an, dafs damit eine sehr erhebliche Geschäftsvermehrung für die Organe der Versicherungseinrichtung herbei geführt werden würde. An jedem Orte der