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260 Nr. 4. STAHL UND EISEN.“ April 1889. Vorsitzender: Wir treten in die Besprechung über den gehörten Vortrag. Hr. Director Schlink-Mülheim-Ruhr: Ich kann mich diesem Anträge nur voll und ganz an- schliefsen. Meine persönlichen Wünsche gehen freilich noch viel weiter, nämlich dahin, dafs der Oberbau unserer Bahnen eine wesentliche Verstärkung erfahre, und ich glaube diese auch mit einigen Zahlen begründen zu können. In der vorgestrigen Landtagssitzung äufserte sich der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten folgendermafsen: „Dem Wunsche nach noch gröfserer Schnelligkeit unserer Züge kann kaum entsprochen werden, denn die Fahrgeschwindigkeit auf den preufsischen Bahnen ist bereits die gröfste auf dem Continent. Würde man noch rascher fahren, so würde das Publikum nur ungern die Bahn benutzen und dazu will ich keinen Anlafs geben.“ (Grofse Heiterkeit.) Diese Worte wurden unter grofsem Beifall ausgesprochen. Ich habe nun einige Zahlen ausgezogen, um darzu legen, wie rasch wir in Deutschland fahren. Der rascheste Zug in Deutschland ist der sogenannte Jagdzug von Berlin nach Hannover; er durchfährt die 260 km lange Strecke in 4 Stunden 9 Minuten, legt also 63 km in der Stunde zurück. Dieser Zug legt die ganze, etwa 587,8 km betragende Strecke Berlin-Köln in 10 Stunden 10 Min. zurück, durchfährt also 5784 km in der Stunde. Der rascheste Zug in England ist der Eilzug Grantham-London, der die 170 km lange Strecke in 1 Stunde 57 Min. zurücklegt, also 871/5 km in der Stunde durchfährt. (Hört! hört!) Der Zug London-Nottingham gebraucht für die 202 3/4 km lange Strecke 2 Stunden 25 Min., durchläuft also in einer Stunde 84 km. Die Strecke von London nach Edinburg, welche 6374/5 km lang ist, wird in 81/2 Stunden zurückgelegt, was eine Geschwindigkeit von 75 km in der Stunde ergiebt. Die zwölf schnellsten Züge Deutschlands haben eine durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit von 52,4 km in der Stunde, die zwölf schnellsten Züge Englands eine solche von 78,3 km in der Stunde, d. h.: die Engländer fahren um 50 % rascher als wir Deutsche. Nun könnte man sagen: Die Engländer sind leichtsinnige Leute, wir können ihnen das nicht nachmachen, aber die un erbittliche Statistik beweist uns im Gegentheil, dafs die Sicherheit auf den englischen Bahnen eine gröfsere ist als auf den deutschen Bahnen. Auf 1 Million Reisende entfallen in Deutschland 2,39 Getödtete, in England nur 1,70, das heifst mit anderen Worten: auf 100 Getödtete in England kommen 140 in Deutschland. In England kommen auf 1 Million Reisende 6,12 Ver wundete, in Deutschland dagegen 8,05, was ein Verhältnifs von 100 : 131 ergiebt. Nach meiner Ansicht sind diese Zahlen so schlagend, wie überhaupt nur etwas sein kann, und damit ist der Beweis geliefert, dafs unser ganzer - Oberbau viel zu leicht ist, denn von der Stärke des Oberbaues hängt die Fahrgeschwindigkeit ab. Die meisten von Ihnen sind in England gereist und haben die Raschheit, aber auch die Sanftheit und Ruhe der dortigen Züge bewundern können; wenn nun bei uns der Herr Minister erklärt: ich kann nicht rascher mehr fahren, dann heifst das: der ganze Oberbau taugt nichts! Darum möchte ich den Herrn Minister bitten, mit dem Oberbau tabula rasa zu machen und einen neuen und stärkeren Oberbau zu beschaffen. (Bravo! Heiterkeit.) Hr. Director Thielen-Ruhrort: M. H.! Ich möchte mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf einen andern Theil des Vortrages des Hrn. Brauns zu lenken. Als im Jahre 1880 das »Iron and Steel Institute« hier versammelt war, da waren die englischen und ausländischen Fachgenossen am meisten überrascht von dem aufserordentlich lichtvollen Vortrag des Hrn. Geh. Bauraths Grüttefien. Es datirt von dieser Zeit in England der Beginn einer lebhaften Agitation für Einführung eiserner Schwellen. Man hat die Erfahrungen der deutschen und im besonderen preufsischen Bahnen, die damals noch Privatbahnen waren, sich zur Lehre dienen lassen und hat in der Agitation nicht nachgelassen, bis man, anfangs vollständig abgewiesen, schliefslich doch die dortigen Bahnverwaltungen zu Anhängern des eisernen Oberbaues in gewisser Beziehung gemacht hat. Heutzutage sind die Hauptbahnen fast nur mit eisernen Schwellen belegt und es gehen von Middlesborough ganz bedeutende Schwellensendungen ab. Holland und die Schweiz sind dem Beispiele Deutschlands gefolgt und haben ebenfalls eisernen Oberbau eingeführt. Die Herren dort werden weniger unsere wirthschaflliche Lage in Berücksichtigung ziehen, sie haben auch wenig Verständnifs für die Interessen unserer Waldbesitzer, und im Hinblick auf die jetzige rückläufige Bewegung in der Verwendung von eisernen Schwellen liegt die Befürchtung nahe, dafs die genannten Länder zu dem Rückschlusse kommen, dafs in Deutschland der eiserne Oberbau Fiasko gemacht habe. Wenn hier auf der betretenen Bahn noch weiter fortgeschritten und der eiserne Oberbau immer mehr zurückgedrängt wird, so werden im gleichen Verhältnifs im Auslande die Stimmen sich mehren, welche gegen den eisernen Oberbau sprechen. Meines Wissens ist der Verbrauch an eisernen Schwellen in Holland und seinen Golonieen bereits zurückgegangen. Ich bin überzeugt, dafs das jetzt von den preufsischen Staats bahnen beliebte Vorgehen auf die weitere Einführung des eisernen Oberbaues sehr verderblich wirken wird, und kann Sie daher, auch mit Rücksicht auf unsere so überaus wichtige Ausfuhrthätigkeit, nur bitten, die vorgeschlagene Eingabe anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)