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4 Nr. 1. „STAHL UND EISEN.“ Januar 1888. Ueber schwere geschmiedete Stahl wellen. Von M. H. Koppmayer in Philadelphia. Fast jedesmal, wenn an Stelle des Schmied- eisens Stahl zu einer neuen Verwendung heran gezogen wurde, stellten sich dabei gewisse, mehr oder minder grofse Schwierigkeiten ein. Sowohl durch chemische und physikalische Untersuchun gen als praktische Versuche spürte man den Ursachen dieser Schwierigkeiten nach und fand, dafs dieselben in den meisten Fällen entweder auf einen Mifsgriff in der Auswahl des Stahles in bezug auf seine chemische Zusammensetzung oder auf eine ungeeignete Behandlung und Bear beitung zurückzuführen sind. Die gröfsere Festigkeit, Härte, Zähigkeit und Gleichförmigkeit, alle diese Eigenschaften, welche der Stahl dem Schmiedeisen gegenüber hat, sollten erwarten lassen, dafs das erstere Material für schwere geschmiedete Wellen das zuverlässigere und dauerhaftere sei. Die häutigen Brüche jedoch, welche bei aus Tiegelstahl, Bessemerstahl oder Martinstahl geschmiedeten Wellen vorgekommen sind, trotzdem man hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung des verwendeten Stahles sowohl als auch bei dem Gusse und der Bearbeitung desselben die gröfste Sorgfalt ausübte und nur solche Wellen verwendete, welche nach dem Abdrehen eine tadellose Oberfläche und gesunden Kern zeigten, scheinen die erwartete Ueber- legenheit des Stables dem Schmiedeisen gegen über nicht zu bestätigen. Bei allen gebrochenen Stahlwellen, welche ich seit einer längeren Reihe von Jahren zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit hatte, fanden sich im Innern derselben Fehler vor, welche entweder auf der Bruchfläche selbst zu erkennen waren oder gefunden wurden, wenn die Wellen nahe dem Bruche auf der Drehbank abgestochen und dann abgebrochen wurden. Die inneren Fehler einer schweren geschmiedeten Stahlwelle ziehen sich meistens längs der Achse fort und zeigen sich als poröse und unganze Stellen, als Sprünge und unregelmäfsige Hohl räume, welche mit dem Durchmesser der Welle an Gröfse zunehmen. Ob dieselben von dem Gusse des Ingots herrühren, aus welchem die Welle geschmiedet ist, oder bei dem Schmieden* desselben erst entstanden sind oder vergröfsert wurden, darüber kann man verschiedener An * Es mag hier auf die Anschauung hingewiesen werden, gemäfs welcher bei dem Schmieden von Wellen unter dem Dampfhammer eine Verschiebung der Theilchen eingeleitet wird, die derjenigen ähnlich ist, auf welcher das Mannesmannsche Röhrenwalz verfahren beruht. Die Red. sicht sein; Thatsache ist es aber, dafs genannte Fehler auch in schweren geschmiedeten Stahl wellen gefunden wurden, bei deren Herstellung man die äufserste Sorgfalt angewendet und welche nach dem Abdrehen und Abbrechen eine fehlerfreie Oberfläche und einen homogenen Kern gezeigt hatten. Dafs die inneren Fehler einer geschmiedeten Stahlwelle einen Bruch der selben herbeiführen können, davon habe ich mich durch Versuche überzeugt, welche ich auf folgende Weise anstellte: Von schweren ge schmiedeten Stahlwellen, in welchen innere Fehler aufgefunden wurden, liefs ich mir von den fehlerhaften Stellen eine Anzahl von etwa 10 mm dicken Scheiben unfertigen, welche durch senkrechte Schnitte auf die Wellenachse erhalten wurden. Diese Scheiben wurden blank gefeilt und einzeln am Rande mit Bunsenschen Gasbrennern oder im Schmiedefeuer bis zu einem Grade erhitzt, wie er ungefähr von einem stark heifsgelaufenen Zapfen erreicht wird. Die auf diese Weise erhitzten Scheiben wurden sodann in kaltes Wasser gehalten und darin geschwenkt. Nachdem nach dem Erkalten die Scheiben wieder aus dem Wasser genommen waren, wurden dieselben genau untersucht, abgetrocknet und abermals am Rande erhitzt und auf gleiche Weise wie früher behandelt und diese Manipula tionen bis zu 50 mal hintereinander wiederholt. Das häufige Erhitzen des Randes der Scheiben und das darauf folgende Abkühlen mit kalten Wasser sollten die jedesmal von aufsen nach innen dringende Erhitzung eines häufig heifs- laufenden Zapfens und die Abkühlung desselben, welche durch das Darüberleiten von kaltem Wasser erfolgt, nachahmen und die Beobachtung von etwa dadurch im Innern desselben hervorgerufenen Veränderungen erleichtern. Weil Risse und Brüche von schweren, geschmiedeten Stahlwellen fast immer in oder nahe den Zapfen und während des Heifslaufens derselben oder bald darauf gefunden werden, wollte ich durch die beschriebenen Manipulationen feststellen, ob innere Fehler und häufiges Heifslaufen und darauf folgendes Abkühlen mit kaltem Wasser den Bruch einer Stahlwelle einleiten und herbeiführen können. Bei der gröfseren Anzahl der Scheiben, insbesondere jenen, deren Kern blofs porös war oder kleinere oder auch gröfsere rundliche oder ovale Hohlräume ohne Zacken, Brüche oder Sprünge zeigten, konnte das Erhitzen und Ab kühlen bis zu fünfzigmal und darüber vorge nommen werden, ohne dafs die geringste Ver