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länder stimmten schliefslich mit ein. Zur Abwechslung wurde noch der „himmelblaue See" eingelegt. Der erregenden Wirkung dieser humol vollen Gesänge mufs es einzig zugeschrieben werden, dafs wir alle ohne i Seekrankheit in Helsingborg den Boden Schwedens I betraten. In heiterster Laune steuerten wir über den | weiten Marktplatz dem Hotel Mollberg zu, eines der besten und solidesten Häuser, welches ich habe kennen lernen. So konnte denn der an wechselvollen Ein drücken reiche Tag auch einen angemessenen Abschlufs finden. Nach dem Abendessen schlenderten wir durch die saubere Stadt, welche sich auf dem schmalen Küstenstreifen an dem steilen Abfall des etwa 40 m hohen Tafellandes lang hin ausdehnt. Dann trieb es uns nochmals an die sturmbewegten Wasser des Sunds. Dicht vor uns schaukelte eine schwedische Fregatte. Der Leuchtthurm von Helsingör und zwei Feuerschiffe schossen ihre blinkenden Strahlen über die schäumenden Wogen. Kleine Lichtpunkte schimmerten aus den Häusern der gegenüberliegenden Küste. Deutlich er kennbar lag im Dämmerlichte der gewaltige Bau des alten Hamletschlosses. Man hätte stundenlang den Melodieen der Brandung lauschen und in das Zauberreich der Romantik versinken können. Aber uns zog ein böser Dämon zu Mollberg zurück: Der schwedische Punsch. Wenn schon der Mensch im Geleise des Alltags lebens unbewufst von Vorurtheilen geleitet wird, so ist er auf einer Reise in fremden Landen den ungewohnten und täglich wechselnden Situationen gegenüber erst recht im Bann seiner vorgefafsten und durch mancherlei Zufälligkeiten bestimmten Meinungen. Dahin gehörte auch unsere fixe Idee, dals es naturwidrig sei, in Schwe den ohne eine angemessene Ladung von Punsch schlafen zu gehen. An diesem ersten Tage wollten wir uns zudem noch sozusagen aichen, in der Vor aussicht , dafs wir bald in die Lage kommen würden, wo wir eingeborenen, punschfesten Männern Bescheid thun müsten. Selbstverständlich fand der mit Eis gemischte Trank unsern ganzen Beifall. Kaum hatte uns jedoch sein Feuer erwärmt, als die elfte Stunde nahte. Die Kellner und die meisten Gäste verschwanden still. Wir schaarten uns zugleich mit einigen der Berliner Herren und Damen, welche die musikalische Ueberfahrt mitgemacht hatten, um die einzige noch brennende Gasflamme. Bald erlosch auch diese. Wir waren indessen auf dieses Ereignifs vorbereitet. Ich führte eine Schachtel Zündkerzchen bei mir, welche unter die Gesellschaft vertheilt wurden, und sofort züngelten die Flämmchen auf Flaschen und Gläsern. Man hätte glauben können, in einen Kreis von Geister beschwörern gerathen zu sein. Das Vergnügen dauerte indessen nicht lange, da der Wirth uns bat, doch das Caf zu räumen, widrigenfalls er eine hohe Polizei strafe zu gewärtigen hätte. Er wolle aber die Getränke und was wir sonst noch begehrten, aut unsere Zimmer schaffen lassen. So geschah es denn, dafs die Mitter nacht uns drei bei jener satanischen Flüssigkeit überraschte, die unsere Stimmung auf eine unheimliche Höhe gebracht hatte. Wir hatten es uns ganz bequem ge macht. Witze, die der Moment eingab, und uralte Calauer lösten sich ab. Leider war das Getränk schneller, als wir dachten, zur Neige gegangen. Arm in Arm nippten wir am letzten Glase. Die Plastik der Gruppe war zu unverkennbar, so dafs sich der Ideen flug zurück lenkte nach jener klassischen Stätte, welche wir am Tag zuvor besucht hatten. „Die drei Grazien in neuester Auffassung“. Drei männliche Grazien netto 6 Centner schwer 1 Der Witz ist fürchterlich und scheuchte uns ins Bett. Zur Strafe mufste ich geloben, auch diese drei Grazien in der Reisebeschreibung nicht unerwähnt zu lassen. Helsingborg—Herrljunga. Einem tiefen Schlafe folgte ein fröhliches Er- yachen an einem wunderschönen Morgen. Die Zeit bis zur Abfahrt nach dem Norden benutzte ich, um auf das Plateau oberhalb der Stadt zu steigen. Dort steht ein alter Thurm, der ehrwürdige Rest der einst mals mächtigen Feste Helsingborg. Ein wundervolles Panorama bietet sich dort oben den Blicken dar. Die schmale, von Fahrzeugen aller Art belebte Wasserstrafse erbreitert sich nach beiden Seiten zu unabsehbaren Meeresflächen, im Norden flankirt durch das hohe Kullen-Vorgebirge, im Süden getheilt durch die grofse Sundinsei Hveen. Jenseits zieht sich die dänische Küste hin mit ihren freundlichen Ortschaften und dunklen Wäldern, gerade gegenüber erglänzt im Morgenstrahl Helsingör und das romantische Schlofs am Meer. Die Reisegenossen hatten sich inzwischen für den Tag mit einem ausreichenden Vorrath von Cigarren versehen. Leider stellte sich bald heraus, dafs das für schweres Geld erstandene Kraut ein Aroma verbreitete, welches sogar die Rauchenden ängstlich machte. Am Bahnhof herrschte reges Leben; an die hundert Land leute, Männer und Frauen, im Sonntagsstaat bestiegen mit Fahnen und Musik den Zug, um ihn bei der zweiten Station wieder zu verlassen, wo anscheinend eine grofse Festlichkeit begangen werden sollte. Als vierter installirte sich ein Engländer in unserm Coupe, der, ohne von der Aufsenwelt Notiz zu nehmen, apathisch seine Cigarette rauchte. Das bartlose Gesicht erschien trotz seiner Jugend blasirt und verlebt, das Auge matt und geistlos. Da er aufserdem noch ein dickes Reisebuch zu Tage förderte, hielten wir ihn für den typischen, am Rhein und in den Alpen wohlbekannten, reisenden Engländer. Dies war wieder ein durch Vorurtheil bekräftigter Irrthum, den ich sehr bedauere. Denn als ich, durch einen Zufall veranlafst, mehrere Stunden später mit ihm ein Gespräch anknüpfen mufste, waren wir Alle erstaunt, wie sich seine Mienen belebten und seine Augen ver geistigten. Was er sagte, war interessant, und sein Ürtheil treffend und witzig. Er reiste im Auftrage eines Londoner Geschäftshauses und kannte nicht blofs ganz Europa, sondern auch Aegypten, Indien, China und Nordamerika. Wir hatten an ihm für heute einen unterhaltenden und liebenswürdigen Reisegenossen.. Leider verstand er als richtiger Engländer aufser seiner Muttersprache nur Bruchstücke anderer civilisirter Sprachen. Unser Zug lenkt, nachdem er Helsingborg ver lassen, landeinwärts und durchschneidet die im Kullen endigende lange Halbinsel, welche das nördliche Schonen nach dem Kattegat vorstreckt. Wir befinden uns vorläufig in einer reichen, fruchtbaren Gegend, welche noch den Charakter der gegenüberliegenden Insel Seeland zeigt. Erst später bei Engelholm beginnt das eigentliche Schweden, d. h. jene bis ans Eismeer reichende, see- und waldbedeckte Granitplatte, deren einförmigen, aber höchst eigenartigen Landschaftscha rakter wir im Verlauf der Reise noch gründlich kennen lernen. Die Bahn führt nunmehr am Rande des Fels plateaus entlang und gestattet zumeist einen Blick auf das Meer. Das Ufer ist steil und klippenreich; vor gelagerte Inseln treten aber noch nicht auf. Man passirt einige Küstenstädte, unter denen Halmstad die bedeu tendste. Um 2 Uhr erreichten wir Warberg, eine Stadt mit besuchtem Seebad und einer sehenswerthen Schlofsruine. Hier hat die Küste bereits den echt skandinavischen Charakter, sie ist durch kleine Buchten ausgezackt und durch lange Fjorde zerschnitten; davor lagern unzählige Felseninseln, welche den sogenannten Schärengarten bilden. In Warberg ist die Mittagsstation. An den schwe dischen Bahnen findet man nur an ganz bestimmten, auf den in jedem Coup befindlichen Fahrplänen an- i gezeigten Stationen Restaurants, welche zum Frühstück, Mittagsessen und Abendbrot eingerichtet sind. Wer dort essen will, hat sich nach Landessitte selbst zu : bedienen. In der Mitte des Speisesaals steht ein grofser