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138 Nr. 2. Februar 1888. »STAHL UND EISEN.“ Welt von Poesie und Romantik klingt aus diesem Namen. Wie mit magischer Gewalt zog es mich dorthin zum Schlofs am Meer. Die ganze nordische Fahrt würde für mich eine halb verfehlte sein, wenn ich nicht auf jener Terrasse gestanden, wo Hamlet mit seines Vaters Geiste Zwiesprach hielt. Ich bin überzeugt, genau die Stätte gefunden zu haben; dort links von den rostigen Kanonen, welche früher den Sund sperrten, ist ein kleines Gärtchen auf dem Walle, mit einer Laube darin. Hier mufs es gewesen sein. Das Schlofs selber habe ich nicht betreten: es dient in seinen unteren Räumen als Kaserne. Es enthält noch manche Sehenswürdigkeiten und interessante Zimmer, welche Zeuge waren von blutigem Mord oder verbotener Liebe, aber es ist dort nichts vorhanden, was mit der Shake speareschen Tragödie in Zusammenhang stände, kein Schwert, welches Hamlet führte, kein Stück Zierath, welches Ophelia schmückte. — „Aber ich begreife den Doctor nicht!“ wird unser Freund aus Oesterreich denken, wenn ihm diese Zeilen zu Gesicht kommen. „Der träumerische Dänenprinz und das arme unverständige Mädchen, welches seinetwegen in Wahnsinn fiel, ist ja ein Phantasieproduct des Dichters. Ein Bach mit über hängendem Weidenbaum existirt in der ganzen Gegend nicht. Allerdings wird in Marienlyst Hamlets Grab ge zeigt, wofür Nichtbadegäste 52 Oerezu entrichten haben. Davon muls man sich aber nicht täuschen lassen, das Grab ist für die Gimpel zurecht gemacht.“ Ja, das habe ich mir oft auch schon gesagt! Aber ich kann nichts daran ändern, dafs mein Herz dem Dichter glaubt. Und ich tröste mich mit dem Gedanken, dafs wohl mancher Wanderer aufser mir, welcher die un ergründliche Dichtung des grofsen Briten hat auf sich wirken lassen, Helsingör aus keinem andern Grunde besuchte, als um den Spuren Hamlets nachzugehen. Unser Aufenthalt auf den Wällen von Kronborg war nur ein kurzer, kaum ausreichend, die Gefühle zu ordnen und das herrliche Landschaftsbild zu bewundern, welches der schmale Meeresarm und die schwedische Küste gegenüber darbietet. Am Eingänge in die Feste wartete unser Wagen, welcher uns bald nach dem benachbarten Badeorte Marienlyst brachte. Wir fanden nichts weniger als ein nordisches Ostende, sind aber über zeugt, dafs in späteren Jahren, wenn erst die Vorzüge der Oertlichkeit recht erkannt und gewürdigt sein werden, der jetzt verödete Strand von einer bunten Menge er holungsbedürftiger Menschen belebt wird. Das Land bildet eine Terrasse, deren Rand und steiler Abhang mit dem herrlichsten Buchenhochwald bestanden ist, durch welchen schattige Wege ziehen. Dieser Wald abhang reicht jedoch nicht unmittelbar ans Meer, sondern es liegt ein schmaler flacher Landstreifen davor, welcher durch einen Granitdamm vor dem Einbruch der Wogen geschützt ist. Auf diesem Damm läuft ein meilenlanger Promenadenweg. Die daran gepflanzten Bäume beginnen schon jetzt Schatten zu spenden. Die Badenden begeben sich über hohe Stackate 200 Schritt ins Meer hinaus zu grofsen Platt formen, auf welchen ein Holzbau mit den Auskleide zellen errichtet ist, von wo Treppen direct hinab in die Salzfluth der Nordsee führen. Der sandige Uferstreifen ist mit Buschwerk bepflanzt worden, Teiche mit kleinen Inseln beleben ihn, aufserdem findet man warme, von Sandwällen ein- gehegte Plätze, welche Schutz vor dem Sturme ge währen. Dort liegt auch das Conversationshaus mit einem Pianino von wahrhaft dämonischer Tonstärke. Wir glaubten nämlich durch das Brausen der Brandung Orchestermusik zu hören; als wir eintraten, fanden wir nur einen jungen Virtuosen an besagtem Instrument. Er phantasirte ganz weltentflohen, ohne Rücksicht auf den Beifall der Hörer. Diese gab es eben nicht; nur zwei überaus gesunde Jünglinge mit englischen Zügen waren mit der Durchmusterung der Räume beschäftigt, aber die Tonfluthen prallten an ihnen ab, wie an | Granitfelsen. Aufser uns und diesen Herren waren von ' lebendigen Wesen nur noch zwei Damen am Strande, | deren eine bereits in den Fliegenden Blättern als Schwiegermutter porträtirt worden ist. Auch auf der Veranda des benachbarten Badehotels zählte man kaum zwei Dutzend stiller Menschen. Es ist anzu nehmen, dafs viele Badegäste in anbetracht des heftigen Windes den Strand mieden und sich in den Buchen wäldern ergingen. Gerade darin liegt der unvergleich liche Vorzug von Marienlyst, dafs es den herrlichen Wald neben einer unbeschränkten Strandpromenade besitzt. Wer also fern vom Treiben der Grofsstadt in Verkehr mit Wald und Meer Erholung und Ruhe sucht, wird sich dort wohl fühlen inmitten einer ge sitteten und gebildeten Bevölkerung! Die letzte Viertelstunde brachte uns noch eine Bekanntschaft, welche unserem Oesterreicher beinahe verhängnifsvoll geworden wäre. Zwei einfach, aber elegant gekleidete, hübsche, junge Damen gingen nicht weit von unserm Platz vorüber. Selbstredend wurde Glas Nr. II dorthin gerichtet, welches die lieben Ge schöpfe auch richtig heranschraubte; das will sagen, dafs dieselben auf uns zukamen und in untadelhaftem Deutsch klagten, dafs sie seit zwölf Stunden hier ein getroffen wären, aber ohne ihre Reisekoffer. Da wir allem Anschein nach nach Kopenhagen zurückfahren wollten, möchten wir uns doch einmal nach dem Verbleib der Koffer umsehen. Wir erwiderten mit den Ausdrücken höchster Ritterlichkeit. Der Tag habe uns bereits so viel Gutes gebracht, und nun sollten wir noch am Abend das hohe Glück haben, solchen schönen Damen dienen zu können. Leider würden wir sofort nach Schweden hinüberreisen, wollten aber doch Alles in Bewegung setzen, um die Sachen herbeizuführen. Leider mufs ich gestehen, dafs unsere Betheuerungen nicht allzu erst gemeint waren. Dagegen halte ich die Koffergeschichte nicht für eine Erfindung der Damen, und darin stimmte auch Herr B. bei, welcher sonst in solchen Dingen sehr skeptisch ist. Als wir eine Viertelstunde später den schwedischen Dampfer bestiegen hatten, fiel dem Staatsanwalt die Angelegenheit wieder ein und flugs sprang er an den Quai zurück, um auf dem wenige Schritte weiter ankernden Kopenhagener Dampfer nachzufragen. Aber unser Schiff war bereits in langsamer Bewegung. Laute Zurufe bringen ihn zur Be sinnung, er stürzt herbei und will den Sprung zurück- thun, aber die Kluft war schon bedenklich breit. Hände und Tauenden strecken sich ihm ent gegen, er nimmt einen Anlauf und kommt auch glücklich, aber nicht eben senkrecht, wieder an Bord. Es dauerte eine Weile, bis er sich fassen konnte; wie schrecklich wäre es gewesen, wenn er allein und ebenfalls kofferlos zurückblieb Dafür durfte er aber mit Stolz behaupten, dafs seine Ritterlichkeit etwas mehr sei, als galante Redensarten. Ueberfahrt nach Helsingborg. Erste Nacht in Schweden. Kaum hatte der Dampfer den schützenden Hafen verlassen, als ihn der frische Nordwest erfafste, welcher die schäumenden Wellen aus dem Kattegat in den schmalen Meeresarm trieb. Mehrere Damen fanden die heftige Bewegung durchaus nicht schön. Eine, welche anscheinend nicht gewohnt war, das Unvermeidliche mit Würde zu tragen, schrie bei jedem stärkeren Stöfse: „Ach Jott, was is denn das?“ Mir schien ein stimmungsvolles Lied am Platze zu sein und intonirte die kleine Fischerin. Die zündende Wirkung dieses ebenso sinnigen wie melodischen Sangs verrieth sofort, dafs die Hälfte der Passagiere vom grünen Strand der Spree hergezogen kam. Mit rührender Beharrlichkeit erscholl der Nixen sang da capo hinaus ins wilde Meer; selbst die Nord-