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sehr beliebt, und das Publikum steht wie eine Mauer, auch wenn die Handlung eigentlich recht langweilig ist, und jubelt über hundertmal gehörte Witze von äufserst fragwürdiger Güte. Hierin zeigt es sich eben als ein grofsstädtisches Publikum. Nichts liegt mir ferner, als dafs ich mit dieser Bemerkung die ange deutete Erscheinung als ein schlimmes Symptom hin stellen möchte. Im Gegentheil halte ich diese Ge schmacksrichtung des grofsen Publikums für eine ganz heilsame Reaction gegen die heutige Ueberproduction an sogenannter Gediegenheit. So gewifs zwei Seelen in des Menschen Brust wohnen, so unnatürlich ist es, nur die eine, nach den Sternen strebende, entwickeln zu wollen. Die andere, welche sich an das Irdische klammert, verlangt auch ihr Recht und wird sich nicht vergewaltigen lassen. Und daraus folgt, dafs gerade diejenigen Männer wahre Wohlthäter der Menschheit sind, welche es sich angelegen sein lassen, das niedere Kunstbedürfnifs und den Trieb nach Unterhaltung und Geselligkeit im Einklang mit den Gesetzen des Guten und Schönen zu befriedigen. Es gehört dazu eine scharfe Beobachtung des Volkes und ein feines Gefühl für dessen Herzensregungen. Mit dem Kopenhagener Tivoli ist gerade das Richtige getroffen, und die dänische Nation kann dem Begründer Georg Carstensen nicht genug danken. Bekanntlich sind in anderen Grofsstädten die Ver suche mifsglückt, etwas dem Kopenhagener Tivoli Ebenbürtiges zu schaffen. Der Londoner Krystallpalast ist in seiner Art unbestritten eine aufserordentliche Anlage, sie bietet so viel des Schönen und Lehrreichen, cultivirt Musik und dramatische Kunst in hervorragendem Mafse, und in dem herrlichen Park athmet man eine reine Luft, aber das Alles hat etwas Steifes und ist nur für gesetzte Leute berechnet; die Kinder und alle die, welche ihrem Sinnen und Begehren nach zu den Kindern zählen, gehen so gut wie leer aus. Der Wiener Prater und noch mehr die Berliner Hasenheide auf der andern Seite stehen auf einem -zu tiefen Niveau. Jahrmarktströdei und der mit Füttern angethane Bettel drängen sich dort begehrlich auf. Das bessere ein heimische Publikum bleibt solchem Trubel fern. In Kopenhagen ist Alles, auch das, was zur Belustigung der Kinder bestimmt ist, schön und gediegen in seiner Art und vor Allem harmlos und anständig. Deshalb fühlt die schlechte Gesellschaft und der Radau sich dort nicht wohl. Die paar Pfennige Eintrittsgeld würden sie ebensowenig, wie die zahlreichen Ord nungsmänner, ferngehalten haben. So ist das Tivoli der Sammelpunkt aller gesitteten Kreise und übt auf die Kopenhagener eine solche Zugkraft aus, dafs an jedem Sommerabend ein wahrer Menschenstrom sich dorthin bewegt. Auch der Fremde bleibt nicht fern, und ein gutes Bild ist es, welches er von jenem hoch begabten Inselvolke mit nach Hause nimmt. Frederiksborg. Am andern Morgen verliefsen wir Kopenhagen und fuhren mit der Bahn nordwärts, zunächst bis Hilleröd zum Besuch von Frederiksborg, welches nach der Meinung der Dänen die gröfste Sehenswürdigkeit ihres Landes ist. Das Schlofs liegt etwas tiefer als die Umgebung, inmitten eines kleinen Sees, zu dessen Spiegel ein von alten Linden beschatteter Weg hinab führt. Schon der äufsere Eindruck des von Christian IV. in dem nach ihm benannten dänischen Renaissancestil aus rothem Backstein aufgeführten Baues ist ein im- ponirender. Besonders malerisch wirken die Thürme mit ihren originellen Spitzen. Das nach dem Brande von 1859 prachtvoll erneuerte Innere ist heute zu einem Nationalmuseum umgewandelt. Drei gewaltige Stockwerke bieten Platz in Hülle und Fülle. Der Hauptinhalt besteht aus Möbeln, Kaminen, Rüstungen, Schmiede- und Broncearbeitcn von historischem und kunstgewerblichem Interesse. Daneben finden wir viele ältere und neuere Gemälde dänischer Künstler. Die Gegenstände sind nicht systematisch nach Ort und Zeit in einzelne Abtheilungen gebracht, sondern jedes Zimmer ist für sich mit Möbeln, Geräthen und Kunst werken so ausgestattet, als seien die Bewohner aus jenen zurückliegenden Zeiten noch nicht dahinge schwunden. Uebrigens sind noch genug leere Räume da, und manche kahle Wandfläche wird den lebenden dänischen Künstlern noch Gelegenheit geben, ihren Genius schaffen zu lassen. Ein Freskencyklus im untern Corridor von einem lebenden Meister, dessen Name mir entfallen, hat uns lange gefesselt. Derselbe ver herrlicht jene heroische Grofsmachtsperiode, während der die Dänen unter Knut dem Grofsen halb Skandi navien und England beherrschten. Der glänzendste unter allen den Prachträumen ist der Rittersaal, welcher einen ganzen Flügel einnimmt. Derselbe gilt vielfach als ein Weltwunder. Gleichwohl fordert er uns heraus , die von der neueren dänischen Ornamentik eingeschlagene Richtung einer kurzen Kritik zu unterwerfen. Wenn es richtig ist, dafs die Decoration der Decken und Wände in erster Linie einen künstlerischen Gesammteindruck erstreben soll, so entspricht der Frederiksborger Rittersaal, sowie die meisten anderen Säle des Schlosses dieser An forderung nicht. Es ist vielmehr so, als wollten Plastik, Malerei und Coloristik sich gegenseitig überbieten, weit entfernt, sich Alle gemeinsam einer höheren künstlerischen Idee unterzuordnen. Man findet kaum ein Quadratmeter, wo nicht eine nackte Frauenfigur in Hochrelief einen Arm oder ein Knie, von der üppigen Büste gar nicht zu reden, in die Luft streckt; sie ist umgeben von gemalten Blumen, von goldschillernden Schmetterlingen und Vögeln, sowie sonstigem Gethier; das Ganze ist umrahmt und durchdrungen von Stuck ornamenten, strotzend von Zinnober, Schweinfurter Grün und gleifsendem Gold. Jedes Einzelne ist wunder voll, namentlich auch die in zartem Roth gehaltenen nackten Leiber. Auch in einem kleinen Raum ohne Perspective kann sich ein derartig überladener Plafond noch leidlich ausnehmen. Wie aber in einem Saale von 50 m Länge? Man sieht ein Chaos von Gold und bunten Farben, die hervorragenden Stuckwülste und Gliedmafsen verdecken sich gegenseitig, so wie die dazwischen gemalten Genrebilder und Stillleben. Die Decke erscheint aus der Ferne wie aus Wachs gemacht, von dem lange Tropfen herabschmelzen. Kurzum eine edle Gesammtwirkung wird trotz des unglaublichen Aufwands der besten Kunst mittel durchaus nicht erreicht, sondern nur der Effect einer stupenden Pracht, wie ihn der Wilde liebt. Zuletzt besuchten wir noch die Schlofskirche, die gröfste Sehenswürdigkeit von Frederiksborg. Auch sie ist überladen mit Pracht. Leider waren wir bereits so erschöpft, dafs wir nicht mehr im Einzelnen be sichtigen konnten, was sie an Glasmalereien, Holz- und Elfenbeinschnitzereien und sonstigen Kunstschätzen birgt. Nur die königliche Betkammer neben der Orgel vermochte uns noch länger zu fesseln. Dieser kleine aus Elfenbein und kostbaren Hölzern gefügte Raum mit einem berühmten Gemäldecyklus zur Passionsge schichte von Professor Bloch ist von einem Privat mann, nämlich dem Besitzer der Ny Carlsberg Brauerei, gestiftet worden. Derselbe Industrielle hat neben seinem Etablissement, welches ganz Dänemark mit einem vor züglichen Gerstensaft versieht, auch eine Glyptothek erbaut und ausgestattet, die in den Reisebüchern durch das empfehlende Sternchen hervorgehoben wird. Helsingör und Marienlyst. Eine Stunde später und das Dampfrofs führte uns weiter an dem Esromsee und der Sommerresidenz Fre- densborg vorüber nach Helsingör. Helsingör! Eine