Volltext Seite (XML)
136 Nr. 2. STAHL UND EISEN.“ Februar 1888. Nachdem wir uns von unseren socialistischen Freunden verabschiedet, steuerten wir dem benachbarten Prinzenpalais zu, in welchem das nordische und ethno graphische Museum untergebracht sind. Beide Samm lungen sind mit Recht weltberühmt. Uns interessirten namentlich die vorhistorischen Funde. Das Steinalter ist so reichlich vertreten, dafs man in einem Feuer steinbergwerk zu sein glaubt. Dort findet man Aexte in jeder Stufe der Vollkommenheit von dem rohen, nur durch Spaltung hergerichteten Steinkeile, welcher in dem Stiele mittels Bast oder- Weidenruthe festge bunden wurde, bis zu der regelmäfsig geschliffen durchbohrten Axt, mit der man nach praktischen Ver suchen einen Baum ebenso schnell zu fällen vermag, wie mit einer modernen Stahlaxt. Ganze Säle sind erfüllt mit den Erzeugnissen des Broncezeitalters. Da neben erregen die reichen Goldfunde und das berühmte mit Runen verzierte vergoldete Trinkhorn aus einem alten Grabhügel unser Erstaunen. Alles stammt aus Dänemark oder Skandinavien, oft aus armen, der Bodencultur wenig zugänglichen Gegenden. Diese Dinge sind also aus dem Süden geholt in jenen Zeiten, wo die Normänner auf ihren kühnen Fahrten bis zu den sonnigen Ländern des Mittelmeeres vordrangen. Am Spätnachmittage unternahmen wir eine Rund fahrt durch die Stadt und wanderten am Ufer des Sundes über die Lange Linie. So erfrischend die Luft dort auch weht, und so unterhaltend die Bewegung der vielen Schiffe ist, so ist die Aussicht von dieser berühmten Promenade doch sehr beschränkt und gestört durch die vorgelagerten Batterieen. Als wir beim Garnisonkirchhofe die Pferdebahnlinie wieder erreichten, war es mittlerweile 7 Uhr geworden. Hier gab es Streit zwischen unserm Staatsanwalt und mir. Ich wollte direct zum Tivoli. Er hatte gehört, dafs Klam penborg sehr schön sei, und wollte sich in den ersten Pferdebahnwagen stürzen, um dorthin zu gelangen. Ich stellte ihm vor, dafs der Hauptreiz Klampenborgs in seinen Buchenwäldern besteht, und dafs wir doch nicht in fremde Länder reisten, um grüne Bäume zu bewundern; übrigens sei es zu spät. Dies wollte er nicht glauben, und er zog deshalb bei den Passanten Erkundigungen ein. Endlich fand sich Jemand, der Oesterreichisch verstand und eröffnete uns, dafs die Fahrt bis Klampenborg anderthalb Stunden dauern würde. Also, auf nach Tivoli! Das Tivoli in Kopenhagen. Eine halbe Stunde später und wir standen inmitten einer neuen lebensvollen und lebens ¬ frohen Zauberwelt. Das Tivoli bietet eine solche Fülle des Interessanten und spielt eine solche Rolle im Leben der dänischen Hauptstadt, dafs eine kurze Schilderung desselben hier am Platze sein dürfte. Es ist ein in der Nähe des Bahnhofes gelegener io h grofser hügeliger Park mit herrlichen Bäumen und Grasflächen, mit Blumenbeeten und Rosenlauben, mit einem Labyrinthgarten und einem kleinen See, auf dem sich eine alte Staatsfregatte schaukelt. Breite Pro menadenwege und heimliche Pfade durchziehen das Ganze. An die hundert grofse und kleinere Baulich keiten in leichter, geschmackvoller Holzconstruction stehen entweder mit breiten, anspruchsvollen Fronten an den Hauptplätzen oder verstecken sich in den Ecken und hinter Abhängen unter Blumen und grünen Zweigen. Tausende von Menschen jeden Alters und Geschlechts verbringen hier die langen, schönen Sommerabende in angenehmer und unschuldiger Unterhaltung. Für die Befriedigung des leiblichen Menschen sorgen die vielen Restaurants, Cafes und Erdbeerhallen. Jedwedes civilisirte Getränk labt den ermüdeten Wan derer, sei es der feurige Saft, den die Bodega spendet, sei es unter jener rebenbekränzten Veranda auf dem Hügel am See, wo man den grünen Römer credenzt. sei es beim Holbräu und Porter und dem vortrefflichen Carlsberger Lagerbier vom Fafs. Kinder, Frauen und unverbesserliche Männer finden auch Milch von Kuh und Ziege, sowie erquickende Molke. Auch für das Amüsement und für unterhaltende Belehrung sind die allseitigsten Vorkehrungen getroffen. Die Fregatte auf dem See enthält neben den Ein richtungen eines Admiralschiffes aus dem vorigen Jahr hundert ein sehenswerthes Aquarium. Kleine, von schmucken Matrosen gelenkte Boote führen die Menge hinüber. Am See birgt eine künstliche Ruine Volieren mit seltenen Ziervögeln. Nicht weit davon steht ein gröfseres Gebäude lür besondere Ausstellungen; damals wurde das Affenmädchen Krao gezeigt. In einem andern Winkel des Parkes liegt das berühmte Brök mansche Affen- und Hundetheater. Schlieslich gibt es noch eine Anzahl von Schiefsständen , Glücksbuden und eine Rutschbahn. Ganz ausgezeichnet ist für die Kinder gesorgt. Am frühen Nachmittage werden auf dem Wiesen- plane allerlei Spiele arrangiert, um 5 Uhr hatte damals ein Wettlaufen mit gefüllten Wasserkübeln statt gefunden, und danach liefs man komische Ballonfiguren steigen. Dann sind dort Schaukeln und horizontale wie verticale Karussels. Die mechanische Einrichtung dieser grofsartigen und schönen Apparate mufs selbst das Auge eines fachkundigen Ingenieurs erfreuen. Kleine durchsichtige Dampfmaschinen vollkommenster Construction geben die Triebkraft, selbst die Orgel wird durch ein besonderes, munteres Maschinellen gedreht. Die fröhliche Kinderschaar hat uns immer wieder gefesselt. Das waren keine ätherischen Zier puppen, sondern derbe, rothbackige, richtige Kinder. Auf der Rückreise verbrachten wir nochmals einen j Abend im Tivoli, wo die Kleinen noch besondere Vergünstigungen hatten. Jedes Kind, und man hatte die obere Grenze des Kindesalters nahezu bis zum zwanzigsten Jahre verschoben, erhielt am Eingänge beim Passiren des Zählapparates drei Billete für die Schaukeln und Karussels. Ebenso waren die Sitzplätze auf dem Künstlerplan , wo dressirte Seehunde und eine Negerfamilie gymnastische Vorstellungen gaben, für die Kinder reservirt. Mit gespannten Mienen und in musterhafter Ruhe und Ordnung harrten sie, das Billet in der Hand, an den wunderbaren Apparaten; freund liche Beamte sorgten, dafs jedes zu seinem Recht kam. Wie strahlten die Gesichter, wenn die luftige Reise begann I An zwei verschiedenen Stellen spielen vortreffliche Orchester, das eine im offenen Musikpavillon, das andere in einem grofsen Concertsaal. Dieser ist ein circusartiger Raum mit Sitzplätzen für tausend Personen , welcher durch Glaswände von einer ringsum laufenden breiten Veranda getrennt ist; in der letzteren darf geraucht werden, die Musik dringt durch die offenen Thüren herein. Das Programm bietet, mit Ausnahme eines Wochentages, welcher der schwereren Musik gewidmet ist, neben Ouvertüren vorwiegend Lieder, Tänze und Märsche, aber in so vollendeter Ausführung, dafs unser Reisegefährte aus Oesterreich, selber ein bedeutender Pianist, aber nur Freund klassischer Musik, die Cigarre ausgehen liefs und sich im inneren Raum nachdrucks voll an dem Hervorruf betheiligte , womit man den Dirigenten Georg Lumbye ehrte. Während der Musikpause begaben wir uns zum Künstlerplan, wo gerade drei Trapezkünstler ersten Ranges in schwindelnder Höhe durch die Luft flogen. Gegen 10 Uhr hatte auch das Spiel auf dem Theater begonnen. Die grofse, mit allen scenischen Hülfsmitteln ausgestattete Bühne liegt in der Tiefe, und das Publikum postirt sich auf dem Abhange gegen über oder schaut von der Höhe des Hauptweges ge legentlich einige Minuten hin. Selbstredend können nur Pantomimen aufgeführt werden, in denen Pjerrot, der lustige Kobold, stets die Hauptrolle spielt. Er ist