Volltext Seite (XML)
Februar 1888. STAHL UND EISEN. Nr. 2. Die Eisenbahnreform in Amerika Drohung aus, die Sätze für lange Entfernungen in einer geradezu unerträglichen Weise zu erhöhen, namentlich bezüglich der Beförderung von Getreide von den westlichen und nordwestlichen Staaten nach der Seeküste, während sie dein „Pooling“ System, dessen Abschaffung sie als unmöglich bezeichneten, eine segensreiche Wirksamkeit zu schrieben, weil es eine Stetigkeit der Frachtsätze herbeigeführt habe. Man hielt die Schwierigkeiten für so grofs, dafs allgemein der Eindruck bestand, der Congrefs lasse sich zwar von den besten Beweggründen leiten, habe aber zu viel verlangt. Viele Personen, welche Anhänger einer durch greifenden Eisenbahnreform in England waren, befürchteten die Wirkung, welche das Fehl schlägen des Amerikanischen Experiments mög licherweise haben konnte. Unter diesen Umständen ist der beruhigende Charakter des ersten Berichts der Commission — eine Zusammenfassung desselben enthält die soeben ausgegebene Nummer von »Bradstreets Journal« — ganz besonders dankens- werth. Die Tragweite des Gesetzes geht aus der Angabe der Commission hervor, dafs nicht weniger als zwölfhundert Eisenbahnen' unter der Ver waltung von fünfhundert Gesellschaften seinen Vorschriften unterworfen sind. Eine Andeutung davon, wie aufserordentlich Ueber die Wirkung des neuen Amerikanischen Bundeseisenbahngesetzes (Interstate Commerce Law) bringt der Londoner »Economist« vom 24. Dec. v. J. den folgenden beachtenswerthen Artikel: Als im Anfang des Jahres 1887 der Gesetz entwurf, betreffend die Regelung des Verkehrs, Annahme fand, wurden in den Vereinigten Staaten von Autoritäten Bedenken darüber ausgesprochen, ob es möglich sei, eine so einschneidende Mafs- regel, wie dieses Gesetz, in wirksamer Weise auszuführen. Von den durch das Gesetz ausge sprochenen Vorschriften waren drei von principieller Bedeutung: Erstens war festgesetzt, dafs »irgend ein ungerechter oder unangemessener“ Fracht satz ungesetzlich sein würde; die Entscheidung über diesen Punkt war vollständig der mit der Ausführung des Gesetzes beauftragten Commission überwiesen. Die der Commission dadurch ein geräumte Vollmacht war sehr umfassend; man befürchtete, dafs sie in Verlegenheit sein würde zu bestimmen, was bei der Mannigfaltigkeit der Umstände in den verschiedenen Fällen gerecht und angemessen sein würde. Ferner war aus- gesprechen, dafs eine Gesellschaft keinen unge rechten Unterschied unter ihren Transportgebern durch „irgend einen Specialtarif, Rabatt u. s. w. machen dürfe“, und dafs alle Frachtsätze für gleiche und gleichzeitige Dienste bei dem Transport „derselben Waarengattung unter wesentlich ähn lichen Umständen und Bedingungen“ gleich sein sollen. Diese Vorschrift, deren Umfang von zwei Abtheilungen der Commission festgestellt wurde, empfand man als eine einschneidende Mafsregel gegen ungerechte Bevorzugung. Die erste Abtheilung setzte fest, dafs es irgend einem Frachtführer, welcher den Vorschriften des Gesetzes unterworfen ist, nicht gestattet sei, in irgend einer Beziehung einen unberechtigten oder unangemessenen Vorzug oder Vortheil irgend einer besonderen Person, Gesellschaft, Firma, Corporation, oder einem Ort, oder für eine besondere Waarensorte. zu gewähren; oder irgend eine besondere Person, Gesellschaft, Firma, Corporation, oder einen Ort, einer Benachtheiligung in irgend einer Beziehung zu unterwerfen; ferner wurden die Eisenbahngesellschaften aufgefordert, alle angemessenen Erleichterungen für den Wechselverkehr auf ihren Linien zu gewähren. Die zweite Abtheilung, welche sich mit der berühmten „Short haul clause“ (§ 4 des Gesetzes) beschäftigte, bestimmte als ungesetzlich, im ganzen für die Beförderung „von Passagieren, oder irgend welcher Art von Eigenthum, unter wesentlich gleichen Umständen und Bedingungen, auf der gleichen Linie und in der gleichen Richtung, für eine kürzere Entfernung mehr zu berechnen als für eine längere“, wobei angenommen ist, dafs die längere Entfernung die kürzere in sich begreift. Die genannte Glausel hatte jedoch den Vorbehalt, dafs die Commission ermächtigt sei, in speciellen Fällen von der Regel abzuweichen, und einer Gesellschaft zu gestatten, für eine lange Strecke weniger als für eine kurze zu berechnen. Man nahm auch hier an, dafs die der Commission gewährte Befugnifs eine zu weitgehende und die auferlegte Verantwortlichkeit eine gröfsere sei, als man der Commission billigerweise zumuthen könne. Die dritte grofse Neuerung verbietet, dafs sich Gesellschaften vereinigen, um sich in die Einnahmen zu theilen (Antipooling clause). Man verfolgte damit den Zweck, den Gesellschaften Vereinigungen, welche das Publikum der Vortheile berauben, die ihm durch die Concurrenz der Ge sellschaften entstehen, unmöglich zu machen. Mit der Ausführung eines solchen Gesetzes beauftragt, hatte die Commission offenbar eine schwierige Aufgabe und eine grofse Ver antwortlichkeit, und man berichtete, dafs sie keineswegs auf Erfolg hoffte. Die Gesellschaften waren besonders über die „Short haul“ — und die „Antipooling clause“ aufgeregt, und sprachen die