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Die Erweiterung der Aufgaben der Berufsgenossenschaften, der Berufsgenossenschaftsverband und die deutsche Industrie.* Am 27. Juni v. J. wurde in Frankfurt a. M. der »Verband deutscher Berufsgenossenschaften“ ins Leben gerufen. Derselbe gab von vornherein die Absicht kund, für eine Erweiterung der Aufgaben der Berufsgenossenschaften thätig zu sein, da in den letzteren eine wohlge gliederte Organisation der ganzen deutschen Industrie geschaffen worden sei, die als gesetzliche Vertreterin des Grofsgewerbes befähigt und berufen erscheine, „eine noch nicht absehbare Reihe socialer und politischer (sic!) Aufgaben weit über den Rahmen der Unfallversicherung zu übernehmen“. Als solche Aufgaben wurden u. a. bezeichnet die Abgabe von Gutachten in tech nischen und wirthschaftlichen Fragen, die Regelung der Arbeitszeit (Nornjalarbeitstag), die Feststellung der Fabrikordnungen, die den Schwankungen des Consums folgende Regelung der gesammten Pro duction und die gesetzliche Regelung der Alters versorgung. Eine grofse Reihe von Berufsgenossenschaften erkannte sehr bald das Unhaltbare dieser Be strebungen, indem sie sich auf den unserer An sicht nach allein richtigen Standpunkt stellte, dafs die Aufgaben der Berufsgenossenschaften durch das Gesetz auf die Unfallversicherung der Arbeiter beschränkt sind, dafs eine obligatorische Erweiterung dieser Aufgaben demgemäfs nur durch Gesetz erfolgen kann, dafs aber die frei willige Uebernahme weiterer Aufgaben, weil un vereinbar mit dem jetzigen Wesen und der bestehenden Organisation der Berufsgenossen- schäften, abzulehnen ist. Thatsächlich sind ja die jetzigen Vorstände der Berufsgenossenschaften und ihrer Sectionen lediglich gewählt, um die Geschäfte der Unfallversicherung wahrzunehmen. Daher kann eine wie auch immer geartete ander weitige Thätigkeit der Vorstände mit dem erhaltenen Mandat nicht in Uebereinstimmung gebracht werden. Ohne Zweifel würden aber ferner durch eine derartige Ausdehnung der Thätigkeit auf social- und wirthschaftspolitische Gebiete innerhalb der Berufsgenossenschaften die unheilvollsten Kämpfe hervorgerufen werden, durch welche die sachgemäfse Erledigung der bisherigen Aufgabe wesentlich beeinträchtigt werden würde. Endlich verlangt das Gesetz die ehrenamtliche Verwaltung der Berufsgenossenschaften, welche bereits unter den jetzigen Verhältnissen aufserordentliche An forderungen stellt. Die geplante Erweiterung der Aufgaben würde an die ehrenamtliche Thätigkeit der Industriellen aber mit unerfüllbaren An * Aus der »Rhein.-Westfäl. Ztg.« forderungen herantreten und damit die Verwaltung in die Hände von angestellten Beamten überführen. Aus diesem Gesichtspunkte beschlofs denn auch der „Verein deutscher Eisen- und Stahlindustrieller“ in seiner Sitzung vom 22. November v. J., „dafs jeder Versuch einer Einbeziehung technischer, wirthschaftlicher, socialer und politischer Fragen in die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften mit Entschiedenheit abzulehnen sei. Lediglich die Frage, ob und inwieweit die Berufsgenossen schaften zu Trägern der Alters- und Invaliden versicherung zu machen seien, sei z. Z. noch als eine offene zu betrachten“. Bezüglich der letzteren Frage hat der „Gentralverband deutscher Industrieller“ inzwischen in den den Lesern be kannten Verhandlungen vom 2. und 3. December j vorigen Jahres Stellung genommen, indem er | sich den „Grundzügen der Alters- und Invaliden versicherung“ gegenüber durchaus sympathisch zu verhalten und an dem Zustandekommen eines derartigen Gesetzes mitzuarbeiten beschlofs, sich natürlich aber sein gutes Recht wahrte, in einzelnen Fragen Abänderungsvorschläge zu machen. Die letzteren gingen denn auch u. a. dahin, dafs die Berufsgenossenschaften nicht zu Trägern der in Rede stehenden Versicherung zu machen seien, dafs vielmehr die Errichtung einer Reichsver sicherungsanstalt wünschenswerth erscheine, so dafs den Berufsgenossenschaften nur eine materielle Mitwirkung bei Feststellung der Invalidität, Con- trolierung der Rentenempfänger u. s. w. zu fallen würde. An diesem Punkte hat — charakteristischer- weise hauptsächlich in freihändlerischen und „deutschfreisinnigen“ Blättern — die Agitation des Verbandes deutscher Berufsgenossenschaften eingesetzt, um die in dem „Centralverbande deutscher Industrieller“ vertretenen Industrieen in einer geradezu schmachvollen Weise zu ver dächtigen, indem man in die Welt hinausschrieb, der Centralverband betreibe eine geräuschvolle, durch reichliche Geldmittel unterstützte Agitation gegen die Grundzüge der Alters- und Invaliden versicherung. Für denjenigen, welcher weifs, dafs das Directorium des Centralverbandes aus den HH. Geh. Commerzienrath Schwartzkopff-Berlin, Commerzienrath H a fs 1 e r - Augsburg, General- consul Russel-Berlin, Geh. Finanzrath Jencke- Essen und Geh. Commerzienrath Langen-Köln zusammengesetzt ist, lauter Männern, welche ganz und voll auf dem Boden der Kaiserlichen Bot schaft vom 17. Nov. 1881 stehen, war nun freilich eine solche Agitationsweise eine directe Abgeschmacktheit. Um so bedauerlicher war es,