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Socialpolitische Bedenken. II.* Vom Vogel Straufs erzählen Ammenmärchen, er verberge, wenn die Verfolgung ihn ermüdet, den Kopf in einem Strauch und wähne sich nun gesichert, weil er den Jäger nicht sehe. Kinder spotten über des einfältigen Thieres Dumm heit, gereifte Männer stecken das Haupt in den Busch des Staatssocialismus oder der Ausnahme gesetze gegen die Socialdemokratie und fühlen sich nun über die gesellschaftliche Zukunft be ruhigt. Begeistert wird unsere Socialgesetzgebung gepriesen; niemals soll die Welt Grofsartigeres erlebt haben, ein goldenes Zeitalter der Ruhe und Sicherheit dünkt einzelnen Schwärmern nicht mehr fern. Leider sind die Gefahren vor wie nach gleich grofs. Es ist allerdings keine dank bare Aufgabe, das laut zu verkünden. Kassandra war das unleidlichste Frauenzimmer in Trojas Hallen, behielt aber zuletzt recht. Feldmarschall Graf von Moltke geifselt in der berühmten Ein leitung des Generalstabswerkes über den deutsch französischen Krieg die Grundfehler unserer damaligen Gegner mit den harten Worten: „Die Wahrheit zu suchen, lohnt nicht der Mühe, sie auszusprechen, wäre unpatriotisch.“ Vermeiden wir in socialen Dingen ähnliche Vorurtheile, wir könnten sonst arge Enttäuschungen erfahren. [ Die wahre Vaterlandsliebe besteht nicht im blinden Einverständnisse mit der jeweiligen Tagesmeinung, sondern unter Umständen im schonungslosen Kampfe dagegen. Wir zollen grundsätzlich der allgemeinen Einführung von Krankenkassen, Un fallversicherung, Alters- und Invaliden-, Wittwen- und Waisen Versorgung vollen Beifall, sind aber fest überzeugt, dafs dadurch der Socialdemokraten Einflufs nicht gebrochen wird. Was veranlafst die Machthaber der Gegen wart, den Staatssocialismus auf ihre Fahnen zu schreiben? Sind’s religiöse, menschliche oder politische Rücksichten? Religiöse wohl kaum, denn das ursprüngliche Christenthum war in Wort und Thal die Ent sagung jeglichen Standesunterschiedes und per sönlichen Besitzes, die unbedingte Gleichheit und Gütergemeinschaft, oder nach heutigen Begriffen der reine Communismus. Der Socialdemokrat kann schlagend auf die ersten christlichen Ge meinden hinweisen und sich mit deren Grund sätzen ganz einverstanden erklären. Die ein * Wenngleich wir nicht mit allen Ausführungen unseres verehrten Mitarbeiters einverstanden sind, so enthalten dieselben doch so beherzigenswert he Ge sichtspunkte, dafs wir dem Artikel die Aufnahme nicht nur nicht versagen mochten, sondern denselben der besonderen Beachtung unserer Leser empfehlen. Die Redaction. fachen Gedanken der Stifter wurden beseitigt, nachdem die neue Lehre Vornehme und Reiche in grofser Zahl gewann, nachdem sie sogar Staatsreligion zu werden strebte. Sind’s Humanitätsrücksichten ? Menschliches Elend ist so alt wie die Welt. Dem Arbeiter stande erging es vor Jahren nicht besser als heute, im Gegentheil schlechter. Die Erwärmung unserer Staatsleute beginnt erst mit dem Zeit punkte, wo man sich der Gefahren des Socia- lismus bewufst wurde, als seine Grundsätze nicht mehr allein in den Köpfen einiger Denker spukten, sondern zahlreiche Anhänger aus den unteren Ständen gewannen. Der Anstofs liegt wesentlich in politischen Erwägungen, in der Besorgnifs um unser bedrohtes Staatswesen. Trotzdem die Zahl der socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten bei der letzten Wahl auf die Hälfte herabsank, stieg die Summe der Stimmen erheblich. Die nacheinander folgenden Zunahmen lassen beinahe ein mathematisches Gesetz erkennen. Das Uebel frifst weiter, zieht täglich neue Anhänger in seinen Bannkreis und wird unwiderstehlich, wenn das Heer vor dessen Einflufs nicht bewahrt werden kann. Socialistische Eltern zeugen und erziehen socialistische Kinder, das ist Naturlauf. Ein mit socialistischer Muttermilch genährter Rekrut wird während der kurzen Dienstzeit schwerlich von seinen Irrthümern geheilt, eher für diese den einen oder den anderen Genossen noch gewinnen. Schon eine solche Minderheit im stehenden Heere würde dessen Grundfesten erschüttern. Man denke nur an die Möglichkeit, dafs ein socialistisch an gehauchtes deutsches Armeecorps einem für die Pariser Commune schwärmenden französischen gegenüberstände. Fehlt dem gröfsten Heere der innere sittliche Halt, das vaterländische Gefühl, so unterliegt es selbst einem schwächeren Gegner, der an diesem Gebrechen nicht leidet. Das zahl reiche, gut bewatfnete und geschulte neapolita nische Heer zerstob wie Spreu vor Garibaldis begeisterter Schaar. Noch übler als bei der Linie wäre es mit der Landwehr bestellt, der voraussichtlich im nächsten Feldzuge keine kleine Aufgabe obliegt. Jeder mit solchen Dingen Vertraute kennt deren Neigung zu einer gewissen Zwanglosigkeit und ihre sonstigen Schwächen. Wer jemals dagegen hat ankämpfen müssen, wie der Verfasser in den letzten Feldzügen, dem graut vor der Aussicht, dafs sich zu diesen Mifsständen auch noch socia listische Schrullen gesellen könnten. Die Gesell schaft wäre vom militärischen Standpunkte aus nicht nur werthlos, sondern sogar gefährlich.