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das trotz grofser Leistungen nach dieser Richtung bei anderen internationalen Ausstellungen denn doch noch nicht erlebt hatte. Wohl hatte man auch in Brüssel das Gefühl, dafs es mit einer Weltausstellung im gewöhnlichen Stile nichts sei, und so kam man denn auf den schlauen Gedanken, dem Kinde einen andern Namen zu geben und es nicht etwa »Exposition universelle«, sondern »Grand concours international de l’industrie, des lettres et des arts« zu nennen. Ein grofsartiger Organisationsplan wurde entworfen und dieser durch Programme sowohl als obligate »Wasch zettel« in die Presse von aller Herren Länder lancirt. Darnach war beabsichtigt, die Ausstellungs objecte nicht nach Nationen zu ordnen, sondern, das im Jahre 1867 in Paris zuerst im grofsen versuchte, aber bekanntlich nicht völlig gelungene Doppelsystem vermeidend, die Erzeugnisse jeder Branche ohne Unterschied des Ursprungslandes neben einander zu klassificiren und in solcher Weise den vergleichenden Ueberblick über die Leistungen jedes einzelnen Productionszweiges zu erleichtern. Nur die belgische und die englische Abtheilung nahmen von vornherein einen Separat raum für sich in Anspruch, aber auch sie wollten ihre Maschinen in die allgemeine Maschinenhalle entsenden, der das Prognostikon gestellt wurde, dafs so etwas sicher noch gar nicht, wirklich gar „niemals dagewesen“. Diese Halle sollte in 5 Sectionen umfassen alle Gebiete der freien und industriellen Künste (I. Section mit 20 Ab- theilungen, »Wettstreite« genannt, und zahlreichen Unterabtheilungen), sodann die Gebiete der ge- sammten Industrie, des Acker-, Garten-, Berg- und Waldbaues (II. Section mit 23 Abtheilungen); ferner die Schiffahrtskunde, die Fischerei und Fischzucht einschliefslich des Materials zur Rettung aus Wassersnoth und Feuersgefahr (III. Section mit 3 Abtheilungen); des Weiteren die Gebiete der angewandten Elektricität, der Zimmerarbeit, der socialen Vorkehrungen gegen Unglücksfälle und deren Folgen (Vereine für Selbsthülfe, Ver sicherung u. s. w.), des Decorationswesens und der Garteninstallationen (IV. Section mit 4 Ab theilungen); endlich als V. Section den Export- und Importhandel, sowie die Specialausstellung des Rothen Kreuzes. Zu dieser V. Section sollte auch Alles gehören, was auf Einrichtung von Handelsmuseen, Exportlagern, Organisation von wirthschaftlichen Congressen, Hülfe für Arbeiter des Bergbaues, der Landwirthschaft und des Seewesens Bezug habe. Ihren Schwerpunkt aber sollte die Ausstellung in den bereits erwähnten Specialwettbewerbungen der einzelnen Fächer linden, die das höchste in Technik, Kunst und Wissenschaft Erreichte zu lebendiger Anschauung zu bringen bestimmt seien. 500 000 Fr. wurden zu Geldpreisen, Ehrenmedaillen u. s. w. für die Lösungen der den Theilnehmern am »Grand concours« gestellten Preisaufgaben, sog. »Deside rata«, bestimmt. Diese Desiderata sollten in 56 umfassenden Abtheilungen, entsprechend den 56 Gomites, in welche die grofse vorbereitende Commission sich gliederte, 2900 Fragen behandeln, deren Auswahl von den Gomites „mit Sorgfalt und Sachkenntnifs getroffen worden und deren Lösung einen bedeutenden, das erreichte Wissen und Können auf den verschiedenen Gebieten der Production verkörpernden Fortschritt darstellen“ würde. Das war in der That ein neues eigenartiges Programm, auf das mancher hineinfallen konnte, auch ohne zu denjenigen Leuten zu gehören, die nie alle werden. Wie ist nun aber das Programm durchge führt? Darauf läfst sich mit einem einzigen Worte erwidern: Garnicht! Der Brüsseler »Wettstreit« ist, um das von vornherein zu sagen, nichts als ein grofser Jahrmarkt; denn den Namen einer Weltausstellung verdient diese wüste Zusammenstellung meist »verkäuflicher« Artikel nicht und es wäre eine Beleidigung für die Städte Paris , London , Wien , Amsterdam , Antwerpen u. s. w., diesen Trödelmarkt in eine Reihe mit den bisherigen Weltaustellungen setzen zu wollen. Man glaube nicht, dafs ich übertreibe; ich werde den Beweis für das Gesagte erbringen. Folge mir der Leser auf einem Rundgange, den ich am 10. und 11. Juni er. in der Aus stellung unternommen habe. Mit dem elektrisch mittels Accumulatoren betriebenen Tram sind wir von der Rue de la loi bis in den Ausstellungsgarten hineingefahren — der Tramconducteur verkauft die Eintritts karten zur Ausstellung ä 1 Fr. — und geniefsen nun ein buntes, hübsches Bild schöner Rasen anlagen, Blumenparterres und Annexbauten, von welch letzteren bis jetzt keine irgend einem wissenschaftlichen oder industriellen Zweck dient, sondern die alle Kneipen, Cigarrenhandlungen, Cacao- und Bouillonverkaufsbuden enthalten. Sie sind meist leer; denn auch die Brüsseler Bürger würdigen die Ausstellung bis jetzt kaum ihres Besuches*; gähnend sitzen die Kellner und Kellnerinnen — es sollen 350 Jungfrauen für die »Bedienung von zarter Hand« engagirt sein — in den Räumen, der Gäste harrend. Aus dieser geringen Theilnahme mag es sich auch erklären, dafs der Inhaber der Bar Russe einen keineswegs säubern Russenjungen das Publikum im Garten mit Kümmelavisen — „vritable Kümmel de St. Pelersbourg, 10 000 bouteilles de Kümmel * Das geben auch belgische Blätter zu. So schreibt u. a. der »Scheldegalm van Antwerpen« vom 10. Juni er. wörtlich: „De tentoonstelling ontvangt weinig bezoekers der stad, en de taal (Sprache), die ] de Druckpers (die Presse) over hare inrichting voert, is niet van aard, om bezoekers uit het binnenland [ of uit de vreemde te doen toestroomen."