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462 Nr. 7. .STAHL UND EISEN.“ Juli 1888. Ueber die von Sir Playfair gemachten Vorschläge berichtet das Blatt: »Wie zu erwarten war, weist der selbe mit wenig Worten die »Geheimmittel« zurück, welche von den Anhängern des Schutzzollsystems (fair traders and protectionists) empfohlen werden. Ebensowenig giebt er den Rath, unsere Währung zu ändern. Er gelangt vielmehr zu dem Schlüsse, dafs Geduld und Klugheit die richtigen Heil mittel seien, dafs Zeit nöthig sei, damit der Consum der Welt das Angebot von Waaren, welche im Uebermafs hergestellt werden, auf nehmen könne, und dafs das, was der Welt nützt, auf die Dauer doch nur Wenigen schaden könne, abgesehen von Denen, die hartnäckig gegen den Strom schwimmen. Aber ebenso wichtig, fährt die »Iron and Goal Trades Review« fort, wie Geduld und Klugheit, und vielleicht, da es uns an diesen Tugenden nicht fehlt, noch mehr der Beachtung werth, ist seine Empfehlung einer Sache, in welcher wir anerkanntermafsen noch weit zurück sind: wir meinen den Unter richt, und zwar nicht nur den in der Schule üblichen, oder das was man gewöhnlich unter - dem tech nischen Unterrichtswesen versteht, sondern auch den höheren wissenschaftlichen Unterricht. Ein sehr interessanter Theil des Vortrags ist deshalb dem Erfolg gewidmet, den Deutsch land und die Schweiz durch Einführung der Seidenweberei erreicht haben; es ist dies ein Industriezweig, welcher in Macclesfield und Coventry zu Grunde ging, während er eine neue Heimath in Crefeld und in Basel gefunden hat. Das Geheimnifs, welches diesen Erfolg erkläre — (wenn von einem Geheimnifs die Rede sein kann), bestehe einfach darin, dafs in bezug auf den technischen Unterricht im Ausland ein freierer Geist herrscht, als bei uns. Wir werden belehrt, dafs die Stadt Crefeld ein noch schlagenderes Beispiel bietet, weil sie durch ihre Fürsorge in bezug auf das industrielle Unterrichtswesen im Laufe weniger Jahre ihre Einwohnerzahl verdoppelt und ihren Handel um das Vierfache gesteigert hat. Diese kleine Stadt, welche jetzt 83 000 Einwohner zählt, hat 215 000 äS auf ihr niederes Schulwesen ver wendet, und noch 42 500für eine Web schule. Wer hat die grofsen Ausgaben für dies Unterrichtswesen bezahlt? Es ist recht gut möglich, dafs dies die englischen Seidenconsu- menten sind, welche aus Crefeld beziehen, was Macclesfield und Spitalfields in gleicher Voll kommenheit nicht zustande bringen. Es ist ein Schauspiel, das melancholisch stimmt, zu beobachten, dafs eine Stadt wie Norwich, welche einst ihrer Shawls wegen berühmt war, gegen wärtig mit der Armenpflege in Streit liegt, weil sie ihre reichen Stiftungen für ein umfassendes technisches Unterrichtswesen verwenden möchte, während die Behörden die Errichtung von Armenhäusern verlangen. Die Abhandlung endigt mit einer Hinweisung darauf, wie weit möglicherweise England durch eine von den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika adoptirte Freihandelspolitik beeinflufst werden könnte. Nach Erwähnung der Aeufserung des Hrn. Giffen über die verhällnifsmäfsig geringe Wirkung der deutschen Concurrenz auf unsern Handel lenkt Sir Lyon die Aufmerksamkeit auf die Vereinigten Staaten als auf ein Land, dessen Hülfsmittel gröfser als die unsrigen sind, das nicht unter Kriegslasten oder permanentem be waffneten Frieden zu leiden hat und dessen Be völkerung der gleichen Rasse, wie wir selbst, angehört. Er erinnert an den grofsen Fortschritt, welchen Amerika bis jetzt gemacht hat, obwohl es in seiner Entwicklung als eine handeltreibende und industrielle Nation durch eine (nach der Ansicht der »Iron and Goal Trades Review«. D. lief.) verfehlte Zollgesetzgebung aufgehalten worden ist, die jedoch, wie es den Anschein hat, eine Aenderung erfahren wird. Zuletzt wirft Sir Lyon die Frage auf, welche Folgen sich daraus für den Vorsprung, den der britische Handel erlangt hat, ergeben werden. Wir haben schon lange das Gefühl gehabt, dafs hierin eines Tages die grofse Gefahr liegen könnte, welche unseren Handel bedroht, und wir freuen uns, dafs sich eine so grofse Autorität über diesen Punkt ausspricht, welcher mehr zu allgemeinen Erwägungen Anlafs geben sollte, als dies bis jetzt geschehen ist. Wenn wir dieser uns drohenden Gefahr entgehen wollen, so kann dies nicht dadurch geschehen, dafs wir sie so lange, bis sie uns ganz nahe ist, unbeachtet lassen; sondern indem wir die Mittel ausfindig machen, welche uns einen neuen Vorsprung in dem Con- currenzwettkampf gewähren. Mit diesen Mitteln sind wir aber bereits vertraut; es handelt sich nur darum, dafs man ihre Anwendung als dringend nothwendig anerkennt. Unser Wohl stand , unsere praktische Kenntnifs der Sache und unsere grofsen Industriecentren werden es in hohem Mafse leicht machen, diese Mittel zu benutzen; sie bestehen in höheren technischen Schulen, auf welchen nicht oberflächliche Kennt nisse unvorbereiteten Schülern eingetrichtert, sondern die Grundlagen der Wissenschaft streng systematisch gelehrt werden.“