Volltext Seite (XML)
Juli 1888. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 7. 441 Das Mannesmann’sche Verfahren, nahtlose Röhren aus dem vollen Stücke ohne Dorn zu walzen, bildete das Thema eines Vortrages, den Friedrich Siemens am 30. April 1888 vor dem Dresdener Zweigverein des Sachs. Ingenieur- und Architecten-Vereins gehalten hat. Ueber die Wirkungsweise des neuen Walzwerks,* welches bekanntlich grofses Aufsehen erregt hat, sprach Redner sich wie folgt aus:** Denken wir uns den Fall, dafs wir ver mittelst gewöhnlicher Kaliberwalzen einen Rund stab herstellen, so verwenden wir zwei über einander liegende horizontale Walzen, deren Umdrehung nach entgegengesetzten Richtungen erfolgt, dergestalt, dafs das stabförmige Werk stück auf seiner unteren und oberen Seite ge packt und in seiner Längsrichtung transportirt wird, indem es zugleich seine Querschnittsform nach der Kaliberform abändert; das Werkstück bewegt sich ausschliefslich in der Längsrichtung, empfängt also keine Drehbewegung; wir wollen ein solches gewöhnliches Walzwerk für die Dauer unserer Betrachtung ein Ver schiebungswalzwerk nennen; unter Hinzu fügung eines festliegenden Dornes dient dasselbe zur Schliefsung der Schweifsfuge bei den bis herigen paten tgeschweifsten Röhren aus Eisen blech. Daneben kennt die Technik auch schon eine zum Richten und zur Herstellung gewisser Rotationsformen dienliche Maschine, bei welcher zwei oder drei horizontale im gleichen Sinne rotirende Walzkörper auf ein stabförmiges Walzstück, welches zwischen sie gebracht wurde, einwirken, dasselbe rotiren machen und um gestalten; das Walzstück bewegt sich hier nur drehend um seine Längsachse, nicht ver schiebend ; man hat diese Walzwerke wohl Querwalzwerke genannt; wir wollen im Interesse der schärferen Vergleichung die Bezeichnung Drehungswalzwerke einführen, weil das Werkstück nur drehende, nicht verschiebende Bewegung empfängt. Eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Walzwerken, dem Verschiebungs- und dem Drehungswalzwerke, nehmen die bekannten Rohrwalzwerke ein, welche nur zum Poliren und Richten der Oberfläche von massiven Rund stäben und Röhren, nicht aber zu deren Form änderung dienen, und sodann das von Mannes mann zur Ausübung seines neuen Walz verfahrens angewendete, hier zu besprechende Schrägwalzwerk. * Vergl. »Stahl und Eisen« 1887, Seite 451; ferner den Patentbericht Seite 477 in dieser Nummer. ** Nach vom Verfasser eingesandtem Sonder abdruck aus dem »Civilingenieur«, XXXIV. Band, 3. Heft. Bei Beiden liegen die Achsen der zwei oder mehr Walzkörper, welche auf ein stabförmig gestaltetes Werkstück einwirken, weder normal noch parallel zur geometrischen Achse desselben, sie kreuzen sich vielmehr im Raume mit der Achse des Werkstückes unter spitzen, nach entgegengesetzten Seiten liegenden Winkeln; daraus folgt, dafs sie dem Werkstücke sowohl eine verschiebende Bewegung entlang seiner Achse, als auch eine drehende Bewegung um diese Achse mittheilen, oder mit einem bekannten Ausdrucke eine Schraubenbewegung, deren Centralachse die geometrische Achse des Werk stückes ist. Diese beiden Walzwerke geben dem Werkstücke eine Schraubenbewegung, die sich aus Verschiebung und Drehung zusammensetzt; es sind im Sinne der vorstehend gebrauchten Bezeichnungen Verschiebungs- und Drehungs walzwerke zugleich, oder Walzwerke mit schraubenförmig bewegtem Werkstücke. Nun unterscheidet sich aber das neueMannes- mann'sehe Walzverfahren durchaus wesentlich von dem mit den bekannten Polirwalzwerken ausgeübten Polirverfahren dadurch, dafs man bei den Polirwalzwerken eine Verdrehung der Faser ängstlich zu vermeiden suchte und eine wesent liche Streckung des Materials und Verminderung des Werkstückquerschnittes auf diesen Walz werken nicht bewirken konnte, weil das Material zerbröckelte und auseinanderfiel, wenn man eine mit Querschnittsverminderung verbundene erheb liche Streckung versuchte. Ganz im Gegensätze hierzu giebt Mannesmann bei seinem Verfahren sowohl eine gröfstmögliche Faserdrehung, als auch eine enorme Verminderung des Querschnittes und Streckung des Materials. Er erreicht dies dadurch, dafs er ein bestimmtes Verhältnifs zwischen Faserdrehung und Streckung einhält, und ermöglicht dadurch sowohl die Erzielung einer starken Faserdrehung, wie einer beliebig starken Streckung ohne Zerbröckeln und ohne Ueberanstrengung des Materials. Die schraubenförmige Vorwärtsbewegung des Werkstückes im Schrägwalzwerke ist ganz unab hängig von der absoluten Walzenlänge; die gleich zeitige Verschiebung, Drehung und Bearbeitung des Werkstückes tritt auch ein, wenn die Walz körper nur dünne, flache Scheiben sind; ist die Dicke derselben unendlich klein und nimmt man an, dafs ein Gleiten zwischen Scheibenrand und Umfläche des Werkstückes nicht stattfindet, so kann man sagen: die Geschwindigkeit der er zeugten Schraubenbewegung auf der schrauben- linigen Berührungsspur einer Scheibe, an dem Werkstücke gemessen, ist gleich der Umfangs-