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einzuschreiten ist, und so giebt das U.-V.-G. Anlafs zu einer möglichst weitgehenden Hand habung der Disciplin. Es ist dann nur folge richtig, wenn Arbeiter, die bereits durch Nach lässigkeit oder Ungeschicklichkeit einen Unfall veranlafst haben, in der Regel entlassen werden, da es sich erfahrungsgemäfs gewöhnlich nicht um eine vereinzelte Nachlässigkeit oder Unge schicklichkeit, sondern um einen unachtsamen oder ungeschickten Arbeiter handelt, der bei weiterer Beschäftigung an gefährlicher Stelle noch mehr Unheil anstiften kann. Zugleich ist dies das einzige, den Werken zu Gebot stehende Mittel, um der früher erwähnten bedenklichen, die Nachlässigkeit geradezu begünstigenden Conse quenz des U.-V.-G., dafs ein durch gröblichen Leichtsinn hervorgerufener und ein unverschuldeter Unfall gleiches Recht gewähren, einigermafsen entgegenzutreten. Wenn es in Berichten an den Sectionsvorstand heifst, „der Unfall ist durch „Nachlässigkeit oder Ungeschicklichkeit veranlafst, „und der Arbeiter hat aus gleichem Grunde „schon verschiedene kleinere Unfälle erlitten“, so wirft ein solcher Bericht ein schlechtes Licht auf den Meister oder höheren Vorgesetzten, da der betreffende Arbeiter längst hätte entlassen oder wenigstens zu einer weniger Achtsamkeit und Geschick erfordernden, freilich auch weniger einträglichen Arbeit hätte versetzt werden müssen. In einer Gegend, in welcher die wichtigsten industriellen Werke der Rh. -W. H.- u. W.- B. angehören, hat der Staatsminister v. Bötticher nach eingehender Prüfung der Verhältnisse den Ausspruch gethan, wenn überall in Deutschland die einzelnen Werke solche Fürsorge für die Arbeiter getroffen hätten, so wären die neuen socialen Gesetze des Staates unnöthig gewesen. So ehrend dieser Ausspruch für die betreffenden Werke ist, so würden doch die letzteren mit der gezogenen Schlufsfolgerung am wenigsten einverstanden sein, weil sie längst die Noth wendigkeit von gesetzlichen Bestimmungen erkannt hatten, welche dem Arbeiter bei Krankheit und Unfall einen rechtlichen Anspruch statt einer auf dem guten Willen des einzelnen Arbeit gebers beruhenden Fürsorge gewähren. Nament lich das U.-V.-G. ist vielleicht nirgendwo freudiger begrüfst worden, als bei den jetzt zur Rh.-W. H.- u. W.-B. gehörenden Werken der Stahl- und Eisen-Grofsindustrie — schon allein deshalb, weil damit das Haftpflichtgesetz in Wegfall kam, ein Gesetz, wie kaum ein schlimmeres erfunden werden kann, um die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu vergiften. Aber wenn die Werke der Rh.-W. H.- u. W.-B. nach dem ehrenden Zeugnifs des Ministers auch früher der Erkenntnifs Rechnung getragen haben, dafs ihnen zugleich eine sociale Aufgabe obliegt, so fällt diese Aufgabe nicht etwa infolge der socialen Gesetzgebung des Staates weg: auch die vollkommensten Gesetze des Staates können die in immer neuen Formen auftretende sociale Frage nicht lösen, wenn nicht jeder Einzelne in seinem Bereiche an der Lösung derselhen mit arbeitet. Die zuversichtliche Erwartung erscheint gerechtfertigt, dafs die Werke der Rh.-W. H.- u. W.-B. sich ihrer socialen Aufgabe auch in Zukunft stets bewufst bleiben. Zu dieser Aufgabe gehört unter den jetzigen Verhältnissen auch, dafs man sich über die ganze Tragweite der socialen Gesetze genau Rechenschaft giebt, dabei aber auch den bedenklichen Consequenzen dieser Gesetze und ihrer Handhabung gegenüber nicht die Augen verschliefst, sondern ihnen nach Möglichkeit entgegentritt, sei es auf dem Wege der Selbsthülfe oder später dem der gesetzlichen Reform, damit der Zweck der socialen Gesetze möglichst vollkommen erreicht und nicht ins Gegentheil verkehrt werde. r. Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter, ist bekanntlich vor etwa vierzehn Tagen von den Ausschüssen des Bundesraths fertiggestellt. Um nicht den Raum unserer Zeitschrift durch die Mittheilung des Gesetzentwurfs in seinem ganzen Umfange über Gebühr in Anspruch zu nehmen, legen wir den Wortlaut des Entwurfs in einem besonderen Heftchen bei und beschränken uns an dieser Stelle darauf, die Hauptpunkte desselben kurz darzulegen. Der Entwurf enthält 144 Paragraphen; alle die in den Grundzügen bereits bezeichneten Per sonen sollen zur obligatorischen Versicherung herangezogen werden, ausgenommen solche, welche berufsmäfsig einzelne Dienstleistungen persön licher Art bei wechselnden Arbeitgebern verrichten, wie Kofferträger, Waschfrauen, Lohndiener u. s. w. Die Wartezeit soll bei der Altersrente auf 30 Jahre, bei der Invalidenrente auf 5 Jahre festgesetzt sein. Die Aufbringung der Mittel soll zu drei Theilen, und zwar durch das Reich im Wege des Umlageverfahrens, durch die Arbeit geber und Arbeitnehmer im Wege des Prämien- verfahrens erfolgen. Die Beiträge für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden nach Wochen, nicht, wie früher, nach Tagesbeiträgen geleistet. Bis auf weiteres soll die Feststellung dieser Beiträge wöchentlich 21 8 für Männer, 14 8 für Weiber betragen. Der Arbeitgeber soll den Beitrag ganz