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April 1888. STAHL UND EISEN.“ Nr. 4. 289 errichteten Häuser hinweg eine i so m lange Laufbrücke bis unmittelbar zu der weltbekannten Terrasse von Mosebacken. Wer nur der Aussicht wegen emporfährt, thut am besten, in den über der Plattform der Hisse erbauten Pavillon gegen 20 Oere einzutreten, woselbst man auch eine Restauration vorfindet. Von der frei in die Luft hinausragenden Veranda gewinnt man das schönste und umfassendste Rundbild von der Stadt und der wunderbaren Wasser- und Inselwelt. Ich habe dies Bild zu wiederholten Malen und bei verschiedener Beleuchtung stets mit neuem Entzücken angeschaut. Eine Beschreibung desselben ist unmöglich. Auch die schönsten Photographien, denen die contrastirenden Farben von Wasser, Fels und Wald ermangeln, können demjenigen, welcher selber nicht das Glück hatte, an einem Sommerabende dort oben zu weilen, nur eine unvollständige Vorstellung dieser ganz eigenartigeu Landschaft geben. Aufserdem kommt für den Beschauer, der wie ein Vogel über der Stadt schwebt, noch das lebendige Treiben der Menschen hinzu. Man sieht und hört die feilschenden Weiber in den Verkaufsbuden am Mälarufer, Salondampfer, mit fröhlichen Menschen dicht besetzt, ziehen ihre Furchen, schwer beladene Handelsschiffe werden heranbugsirt und dazwischen gleiten die flinken Dampfschaluppen, welche ununter brochen den Verkehr zwischen den verschiedenen Stadttheilen vermitteln. Wir fahren nunmehr wieder hinab und setzen unsern Rundgang um Altstockholm an der Mälarseite fort. Auch liier ist eine stattliche Flotte versammelt, zumeist kleine Segelboote, welche von den Ufern des weitverzweigten Sees die Landproducte nach der Haupt stadt führen. Ueberraschend ist auch die Anzahl der hier liegenden grofsen Dampfer, welche eine regel- mäfsige Verbindung mit den entferntesten Landestheilen unterhalten. Hier erst gewinnt man beim Lesen der Fahrtafeln die richtige Vorstellung von der Grofsartigkeit des schwedischen Kanalsystems. Der Dampfer Ceres gerade vor uns geht morgen nach Göteborg quer durchs ganze Land von der Ostsee bis zum Kattegat. Drei Dampfer laufen zwischen Stockholm und Jönköping an der Südspitze des Wetternsees. Ein anderer geht durch den Hjelmar-Kanal und -See bis Orebro. Wieder andere erreichen durch den berühmten Strömsholmkanal die Eisendistricte von Fagersta und Smedjebacken 200 km landeinwärts. Inzwischen sind wir über die Riddarholmbrücke auf die kleine Insel gleichen Namens gelangt. Hier befindet sich neben mehreren Staatsgebäuden auch die Riddarholmkirche, deren Besuch kein Reisender ver säumen wird. Dieselbe dient heute keinen kirchlichen Zwecken, sondern als Mausoleum und nationale Ruhmes- halle. Da stehen die Sarkophage Gustav Adolfs und des unseligen Carl XII. In der gröfsten Kapelle sieht man die mit goldverbrämtem, rothem Sammet einge hüllten Särge von Angehörigen der jetzt regierenden Bernadotteschen Königsfamilie. Neben vielen anderen Feldherren und Staatsmännern ruhen in dieser Kirche auch die Generale Baner und Torstenson. Alle Wände, Kapellen und Nischen sind geschmückt mit Tausenden von Fahnen und sonstigen Trophäen aus Schwedens Grofsmachtzeit. Unweit der Kirche steht auf Riddarholmen das Standbild des Birger Jarl. Ueber die Brücke zurück gelangen wir auf einen gröfseren Platz mit dem Stand bild Gustav Wasas. Geradeaus gehend sind wir in wenigen Minuten wieder am Schlofs, und unser Gang um Altstockholm ist beendet. Wir begeben uns nunmehr nach Norrmalm. Dieser vornehme und elegante Stadttheil enthält die bedeu tendsten Bauten, die Museen, den Centralbahnhof und die grofsen Hotels, weshalb hier auch der Mittelpunkt des Fremdenverkehrs ist, namentlich in den unmittel bar am Wasser gelegenen Theilen. Norrbro führt direct auf den schönsten Platz Stockholms, den Gustav- Adolf-Torg, mit der ehernen Reiterstatue des grofsen Königs. Die Ostseite des Platzes nimmt das Opern haus ein, die Westseite das Erbprinzenpalais. Die ganze Nordstadt ist sehr regelmäfsig in Form eines Fächers gebaut. Für die Orientirung ist es ausreichend, sich die drei Hauptstrahlen, welche verlängert sich im Mittelpunkt von Altstockholm schneiden müfsten, zu bemerken. Vom Gustav - Adolfplatz gerade nördlich geht Regeringsgata, 200 Schritt westlich beginnt die in nordwestlicher Richtung allmählich ansteigende, anderthalb Kilometer lange Drottninggata. Der dritte hinter dem Opernhaus beginnende Strahl, in seiner Fortsetzung Nybrogata benannt, bildet die Achse der regelmäfsig wie ein Schachbrett gebauten Militärstadt Oestermalm, welche aber für den Fremden wenig Interesse bietet. Die erstgenannten Strafsen, voran Drottninggata, sind die Hauptverkehrsadern, haben die gröfsten Läden und sind Tummelplatz der Flaneure und schönen Welt. Selbstredend darf man an diese Strafsen nicht im entferntesten den Mafsstab von Berlin oder Paris legen wollen. Stockholm hat ja kaum eine Viertelmillion Einwohner und ein dünn bevölkertes Hinterland und liegt aufserhalb des grofsen Fremden verkehrs. Gleichwohl können die Juwelierläden, wegen des eigenartigen, specifisch nordischen, Stils der aus gelegten Geschmeide auch denjenigen interessiren, welcher die Millionenstädte besuchte. Ebenso sind die Stahlwaaren von Eskilstuna gleich hervorragend wegen ihres inneren Werths, wie wegen ihrer dem Runen zeitalter entnommenen Verzierung. Das von den beiden Hauptstrafsen eingeschlossene spitze Dreieck liegt auf einem Höhenrücken, zu dem die Querstrafsen von beiden Seiten ziemlich steil an steigen. Hier befindet sich in der Nähe des grofsen Marktplatzes die Centralstation der Stockholmer Tele- phongesellschaft. Es geschieht derselben Erwähnung, weil es in Europa nichts Gleiches giebt. Nicht we niger als 6000 Drähte laufen an dem gewaltigen Eisen gerüst auf dem Dache zusammen. In der That ist der hochragende Telephonkäfig mehr als alle Kirchthürme das am weitesten sichtbare Wahrzeichen der Stadt. Ganz Stockholm ist mit Drähten umsponnen, so dafs man den Eindruck hat, als lägen Schichtwolken über den Häusern und über dem Wasser. Telephonsprech stellen findet man überall, namentlich in den Cigarren läden, welche Jedermann gegen eine Gebühr von 10 Oere benutzen kann. Ueberhaupt sei hier bemerkt, dafs Schweden in bezug auf den allgemeinen Gebrauch des Telephons allen europäischen Ländern weit voraus ist. Ist doch die Zahl der Sprechstellen in der abge legenen nordischen Metropole die nämliche, wie in der 5 Mal gröfseren Weltstadt Berlin. Selbst in kleinen Städten, wie Filipstad oder Falun, zählt man mehrere Hundert Leitungen auf dem Dache der Centralstation. Auch die Dörfer, Hütten und gröfsere Gehöfte sind in das allgemeine Netz eingeschlossen. Man erkennt aus dieser ‘Thatsache wiederum die hohe Cultur und den praktischen Sinn des schwedischen Volks. An der Basis des durch die genannten Haupt strafsen gegliederten Fächers der Nordstadt hängt gleich einem köstlichen Zierath der kleine, aber durch seine Lage und prächtigen Bauten bevorzugteste Stadttheil Blasieholmen. Sein nach der Schlofsseite hin gewandter Quai mit dem Nationalmuseum und dem Grandhotel bildet einen der schönsten Stadtprospecte der ganzen Welt. Blasieholmen ist jetzt eine nach Südost vor springende Halbinsel, war aber früher ganz vom Wasser umflossen. An Stelle des Wassers schieben sich heute zwei der schönsten und besuchtesten Parks zwischen den Holm und die eigentliche Nordstadt: Im Norden der kleine Berzeliuspark mit der überlebensgrofsen Broncestatue des grofsen Chemikers; im Westen der 400 m lange, bis zum Wasser reichende Königspark. Diesen zieren aufser der künstlerischen Fontäne von Molin die Standbilder der Könige Carl XII und Carl XIII.