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286 Nr. 4. „STAHL UND EISEN.“ April 1888. Von Persberg über den Yngen nach Thorskebäcken hin und zurück. Endlich war das für uns bestimmte Boot flott ge worden und wir schaukelten auf den Wogen des dunklen Sees, dessen Fläche eine Meile weit vor uns lag. Zwei Männer, ein mürrisch blickender Greis und sein jüngerer heiterer Gesell, trieben das Fahrzeug durch der Ruder Kraft. Ein Segel aufzuspannen war ihnen verboten, da der See hoch ging und die Bewegung bald so heftig wurde, wie auf dem Meere. Die Spritz wellen schlugen lustig über uns fort. In der Mitte liegt eine gröfsere Insel, hinter der wir eine Weile Ruhe hatten. Nicht weit davon ragen mehrere kleine Granit holme, nur wenige Quadratmeter grofs, trotzdem mit einigen Tannen gekrönt. Der jetzt an ihnen hoch aufspritzende Schaum belehrte uns nachdrücklich von der Wuth des Sees. Endlich lenkte das Boot nach 5la stündiger Fahrt in einen bis dahin unsichtbar ge bliebenen Fjord, in welchem man weder Wind noch Wellen spürte. Menschliche Wohnungen, ja auch nur Spuren von der Anwesenheit des Menschen am Süd ende des Sees waren uns nicht zu Gesicht gekommen, sondern nur Granitmauern mit düstern Tannenwäldern. Auf einmal liegt ein Garten vor uns und darin ein weifsschimmerndes Herrenhaus, etwas weiter zurück eine Hütte mit Hochofen; wir sind in Thorskebäcken. Die Schlufsverhandlung mit den Schiffern ging mit Hülfe eines schriftlichen Verfahrens sehr glatt. Wir waren nämlich auf der langen Fahrt über die beste Methode, uns mit den Schweden zu verständigen, zu Rathe gegangen. Es lag nicht so sehr an unserer Un- kenntnifs der Sprache; Herr B. liest und schreibt sogar Schwedisch und auch ich hatte schon ein kleines Lexikon auswendig gelernt und konnte decliniren und conjugiren. Es lag am Hören und Aussprechen. Die Aussprache und namentlich der Tonfall des Schwe dischen ist vom Deutschen sehr abweichend und kann nur durch längere Uebung und Gewöhnung des Ohrs annähernd erlernt werden. Wir aber waren erst drei Tage im Lande. Deshalb beschlossen wir, in allen kritischen Fällen mit den Leuten schriftlich zu ver kehren, was in anbetracht der hohen Schulbildung des schwedischen Volks ganz vorzüglich ging. Das Blatt mit der Handschrift unseres Ruderers bewahre ich noch heute als ein sichtbares Andenken an jene Fahrt, deren Einzelheiten bereits anfangen, in der Erinnerung zu einem ruhigen Gesammtbild zu verschmelzen. Herr Erikson empfing uns aufs liebenswürdigste inmitten seiner Kinder; namentlich gewann sein Erst geborener, ein schöner Jüngling von 18 Jahren, sofort unser ganzes Herz. Leider sprach und verstand Nie mand etwas Anderes, als Schwedisch. Indessen gestaltete sich hier der Verkehr sofort unbefangen und angeregt; alle ernsteren Fragen wurden schriftlich rasch erledigt. Die ganz einsam gelegene Hütte, welche in ihrem Hochofen aus Persberger Erzen ein sehr reines Eisen erbläst.war wie alle kleineren Hochofenwerke Schwedens im Sommer aufser Betrieb. Herr E. lud uns zum Mittag ein und zwar in einer solchen gewinnenden Weise, dafs wir nothwendig folgen mufsten. Offen gestanden thaten wir dies mit einer gewissen Beklemmung. Im Kreise einer Familie zu tafeln, deren Sprache man nicht versteht, ist ja an und für sich eine Situation, welcher Jeder gern aus weichen möchte, uns aber beängstigte noch die frische Erinnerung an die Himbeerwassersitzung jenseits des Yngen. Im grofsen Speisesaal war ganz nach schwe discher Sitte serviert. Eine Tafel in der Mitte des Raums ist mit den Efsgeräthen und einer Unmenge von Vorgerichten besetzt. Auch der Schnaps fehlte nicht, wovon ein Glas zu Anfang des Mahls getrunken wird; die Schweden nennen das Appetitsup. Wir langten tapfer zu und nahmen mit unserm Wirth an einem kleineren Tisch am Fenster Platz, von wo aus der | Blick auf den sonnigen Garten und die das stille Thal einschliefsenden Tannenhügel fiel. Ein Gericht reihte sich an das andere ; besonders aber überraschte uns der schnelle Wechsel und die Mannigfaltigkeit der Getränke. Es lösten sich ab: Sherry, Rheinwein, Porterbier, Lafitte, Dünnbier und schwerer Portwein; dazwischen kamen noch die unvermeidlichen Erdbeeren mit Sahne. Die Stimmung wurde immer fröhlicher, die Pantomime lebendiger, das Zutrinken permanent. Jeder sprach schliefslich seine Muttersprache und doch verstanden wir uns, und was wir nicht verstanden, erriethen wir, und wenn wir falsch riethen, wurde angestofsen und die Sache war in Ordnung. Auch die Söhne traten wiederholt mit ihrem Glase heran, freundlich zutrinkend. Eine Dame war nicht anwesend und vermuthe ich, dafs Herr E. Wittwer ist. Die Zeit eilte schnell von dannen und wir mufsten energisch zum Aufbruch rüsten, denn der Zug von Persberg nach Filipstad ging schon in 11/2 Stunden. Aber eine Tasse Kaffee könnten wir noch gut trinken. Im Nachbarzimmer fanden wir den dampfenden Mokka, daneben aber auch eine Batterie Flaschen mit feinen Schnäpsen und ein Dutzend Spitz gläser von ganz bedenklichem Fassungsvermögen. Wir erschraken darob und winkten ab, Herr Erikson aber lachte, wie der alte Germane im Scheffelschen Liede, füllte drei Gläser mit Benedictiner und wir leerten sie auch, wie es sich gehört. „Und nun noch einen Bittern, das ist gut für die Wasserfahrt.“ Jetzt ergriff mein Reisegenofs einfach die Flucht; auch ich wollte ihm nach, konnte aber meinen Hut nicht gleich erwischen. Herr Erikson hatte sein Glas bereits erhoben; was sollte ich thun? Ich trank den Bittern. Dafür lohnte mich ein Blick, welcher deutlich sagte: Alle Achtung. — Aber nun ging es schnell hinaus zum Boote. Der Abschied von der Familie war geradezu rührend, und wir werden das Andenken an die lieben Leute unser Leben lang im Herzen bewahren. Wir bestiegen das nämliche Boot, und die beiden Schiffer, welche uns hergeholt hatten, legten die Ruder ein. Als wir uns dem Ausgange der stillen Bucht näherten, sahen wir an den schaumgekrönten Wellen, dafs der Wind, welcher uns entgegenblies, zum Sturm geworden. Aufserdem thürmte sich vor uns dunkles Gewittergewölk auf. Die beiden Männer arbeiteten mit doppelter Kraft, da sie in den Schutz der Insel kommen wollten. Die Spritzwellen schlugen ununter brochen in das Boot. Zum Glück hatte ich im hintern Schnabel Platz genommen und kauerte, in das Plaid gehüllt, unter meinem Regenschirm. Herr B. aber safs in der Mitte und konnte der Ruderer wegen seinen Schirm nicht aufspannen; erbarmungslos sendeten die tückischen Seenixen ihre Wassergeschosse gegen den Wehrlosen. Das Wetter kam näher, der See vor uns wurde unsichtbar und man hörte nur ein dumpfes Prasseln. Es war klar, dafs wir die Insel nicht mehr erreichen konnten. Die Kraft der Bootsleute begann zu erlahmen, wir machten uns aufs Schlimmste gefafst. Aber jetzt offenbarte sich die Zaubermacht des Weins. Statt zu zagen, stimmte ich heitere Lieder an und mein Schicksalsgefährte sang den Refrain. Die beiden Ruderer waren zuerst unwillig darüber, begriffen aber bald das Komische unserer Lage und schöpften neuen Muth. Uebrigens lag es nicht im Sinne des Schicksals, uns fern von der Heimath im tiefen See zu betten. Die Wetterwolke überschüttete uns nur mit einem heftigen Regengufs, brachte aber merkwürdigerweise den Sturm sofort zum Schweigen. Nach einer Viertelstunde war der Himmel wiedei klar und die ruhige Wasserfläche schimmerte im Sonnen licht. Aus dem Boote aber erscholl der gefühlvolle Sang: O du himmelblauer See, aus ist das Herzeleid, aus ist das Weh! Unser Zug war natürlich längst abgefahren. Während der jüngere Bootsmann für uns ein Fuhrwerk besorgte, hatten wir noch Zeit, die Persberger Wasseranlagen