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chesters sich einzufügen und nicht aus ihm hervorzutreten. Und so bleibt der End eindruck eines Orchesterwerkes kühnster Moderne, aber von eigenartiger Leuditkraft und nicht geringer Bildwirkung. Gewiß — das Fremde (Exotische) der verwendeten Themen steht einem persönlicheren Aus druck der Komposition im Wege; als Im pression (sie hat mit dem Impressionismus eines Debussy nichts zu tun) hat sie aber doch stärkste Qualitäten und ist in der Fassung von geistvoller Durchführung. Bestimmt ist Busoni gesünder als so viele der modernen knochenlosen Herrschaften. * TSCHAIKOWSKYS E=MOLL=SINFONIE Just vor 34 Jahren lag Peter Iljitsdi d. Tschaikomsky auf der Totenbahre. Am 6. November 1893 fiel er, dreiundfünfzig- jährig, in Petersburg der Cholera zum Opfer. Mit ihm starb nicht der größte russische Komponist (Mussorgsky ist genia ler), sicher aber der bekannteste der slavi- schen Tonpoeten — wenn man von dem Franco-Polen Chopin absehen will. Auch er hat — allerdings nicht so stark wie jener Pole — in seiner „National“-Musik einen französischen Einschlag. Er „krankt" an Berlioz. Und selbst seine negative Ein stellung zu Richard Wagner hinderte ihn nicht, manches von der (damals) modernen westlichen Musikrichtung anzunehmen. Fast ein halbes Jahrhundert lang war Tschaikowskys Stellung als wichtigster rus sischer Komponist unbestritten. Auch heute — wo wir die Elemente, auf denen sich die russische Musik aufbaut, und die Entwicklung, die sie zu nehmen scheint, klarer überblicken können — darf seine überragende Gestalt in ihrer Bedeutung keineswegs unterschätzt oder übersehen werden, trotz mancher Einschränkungen, deren Berechtigung nicht von der Hand zu weisen ist. Als russischer Sinfoniker steht er auf jeden Fall auf ragendem Platze. Von den Sinfonien, die wir Tschai kowskys fleißiger Feder verdanken, haben sich nur zwei dauernd die Gunst des Publi kums errungen: die „Pathetische“ in H-Moll und die „Fünfte" in E-Moll. Streng ge nommen wird man die letztere als sinfoni sches Werk der absoluten Musik kaum zu rechnen können, da ihr ein allerdings un ausgesprochenes Programm zugrunde liegt. Dies tritt durch die charakteristische Ver wendung des an die Spitze des ersten Satzes gestellten Themas unverkennbar hervor. Und dieser thematische Haupt- edanke wird auch im zweiten, langsamen atz und im Finale immer wieder aufge nommen. Tschaikowsky haben hier also ganz be stimmte dichterische Absichten geleitet. Es hält aber trotzdem schwer, dem Werke ein ins einzelne gehendes „Programm“ anzu heften. Es ist eben eine Schöpfung spon tan sich entladender Temperamentsmusik. Sie birgt eine Welt der Gegensätze: Idyl- lisdi - Versonnenes, Melacholisch - Tänze - risches, Cholerisches, Sanguinisches lösen einander in buntem Wechsel ab. Wirklich Grandioses (der erste Teil) wirkt gegen- sätzlidi zu dem süßen Gemisch von Weh mut und Stolz des zweiten Satzes, unter brochen von der graziösen Anschaulichkeit, der lässigen Eleganz und wiegenden Weich heit des ins Slavisdie gewendeten Walzers (3. Satz) und der lebenbejahenden, fast trotzigen Struktur des letzten Teiles. All diese Sätze der Sinfonie tragen aus gesprochen russischen Charakter, eine un- verfälsdite nationale Manier. Und in kei nem seiner anderen sinfonischen Werke ist diese so stark zur Ausprägung gekom men. Den Vorzug wird man dieser Sin fonie vor allem zugestehen müssen: der Komponist schenkte uns hier erlebte Musik — was man leider von Tschai kowsky, der seine Schöpfungen mitunter mit leichtem französischen Parfüm anduf tete, um um so unvermittelter mit slavisch- Brutalem herauszuplatzen — nicht immer sagen kann. Der erste Satz (andante — allegro con anima) hebt mit dem bereits erwähn ten, dunkel gehaltenen Motiv an. Dies er scheint immer wieder, vom Figuren werk der Holzbläser umflossen und zum mäch tigen Crescendo geführt, wo das weiche, das weibliche Gegenmotiv (im Gegensatz zu dem ersten männlich-rhythmischen) ein setzt. Die Stimmung wird heiterer. Und mannigfaltig wechseln die Gedanken, um schließlich doch das starke erste Motiv nicht vergessen zu können. Den zweiten Satz (andante cantabile) trägt eine sanfte, schwärmerische Horn melodie. Im Zwiegespräch mit der Oboe wird aber das hier erklingende Sehnen und Schwärmen bald lebhafter, mächtiger, um sich schließlich brünstig in Leiden schaftlichkeit zu entzünden. Doch hier warnt plötzlich jenes Leitmotiv des ersten Satzes: Zügle die entfesselte Leidenschaft!— aber nur, um nochmals einen Gefühlsrausch hemmungslos fluten zu lassen und dann in Resignation (nach wiederholtem Warn ruf) in Sanftheit auszuklingen. Der dritte Satz (allegro moderato — valse) bringt uns in die Welt, in der man sidi nicht langweilt, in die frohe, elegante, lustige Gesellschaft mit ihrem verführe rischen Zauber des mondänen Lebens. Das Trio zeigt die gewollten Gegensätze in dem Taumel der Gefühle. Im Schlußsatz endlich beherrscht der erste Leitgedanke wieder das Ganze, um dann nach trotzigem Kampf mit einem energischen Gegenthema in höchstem Jubel und schrankenloser Freude dem Sieg und Triumph zuzuschreiten.