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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YGI E N E _ MUSEU M Donnerstag, 23. Februar 1961, i g 3Q uhr Freitag, 24. Februar 1961, 19.30 Uhr Sonnabend, 25. Februar 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 26. Februar 1961, 19.30 Uhr GASTDIRIGENT Vaclav Neumann, Prag ANTONIN DVORÄK Scherzo capriccioso, op. 66 Serenade für Streichorchester E-Dur, op. 22 Moderato Tempo di Valse Scherzo — vivace — andante Larghetto Finale — allegro vivace PAUSE 6. Sinfonie D-Dur, op. 60 Allegro non tanto Adagio Scherzo (Furiant) — presto Finale — allegro con spirito Das Scherzo capriccioso, dessen Partitur Dvorak nach nur zwei Tagen der Skizzierung und wenigen Wochen der endgültigen Ausformung am 2. Mai 1883 beendete, zählt zu den Werken des Meisters, die sich schon bald nach ihrem Erscheinen einen bleibenden Platz in den Konzertsälen zu sichern wußten. Es erschien auch in den Programmen seiner ersten England-Reise, die ihm mit einem Schlage zufolge der eindeutigen Wirkung der dort zu Gehör gebrachten Arbeiten die Herzen der Londoner Musikfreunde gewann (,,. . . gleich bei mei nem Erscheinen auf dem Podium wurde ich vom Publikum mit stürmischem Applaus empfangen . . . und zum Schluß war der Applaus so gewaltig, daß ich wieder und wieder . . . danken mußte“, schreibt er unter dem Eindruck eines der Konzerte). Namhafte Dirigenten wie Hans Richter und Arthur Nikisch nahmen sich des Werkes an und führten es von Erfolg zu Erfolg. Der Werktitel „Scherzo capriccioso“ führt die Erwartungen des Hörers in die Bezirke der Schwerelosigkeit, des Unbekümmertseins. Jedoch entstand das Werk zu einer Zeit, in der Dvorak starke innere Konflikte in sich austrug, was — übri gens auch in anderen Arbeiten dieser Zeitspanne wie etwa im Klaviertrio op. 65 aus dem gleichen Jahre — das unbekümmerte Sichausmusizieren hinter span nungsgesättigter Leidenschaftlichkeit, die aus Freude am natürlichen Fluß ge nährte Reihung thematischen Materials hinter dialektischer motivischer Verzahnung zurücktreten ließ. Von der Gefühlsskala, die sich über alle Bezirke des Zweifels, der Erwartung, des Schmerzes, des Trotzes bis hin zur willensmäßigen Über windung erstreckt, zeugen neben dem Scherzo und dem Klaviertrio die drama tische Ouvertüre „Husitska“ und die d-Moll-Sinfonie op. 70. So spricht das Scherzo nicht die Sprache sorgloser Freude am Geschliffen- Heiteren, sondern eben die einer unrastgeladenen Spannung, was sich sowohl in der strukturellen Anlage (thematische Detailarbeit unter Auswertung aller denk baren figurativen, imitatorischen und kontrapunktischen Möglichkeiten) als auch in der Orchestrierung (Einbeziehung von Instrumenten dunkler Klangfarbe wie Englischhorn und Baßklarinette) auswirkt. Solcher Grundkonzeption entspricht auch schon das Themenmaterial selbst, in dem Forderndes, in großen Intervall schritten sich trotzig Gebärdendes neben weniger Profiliertem in stufenweise dahinschreitenden, flüssigen Gängen anzutreffen ist. Bis auf gewisse Strecken des Mittelteiles wechseln auch die Stimmungen und Ausdrucksgehalte verhältnis mäßig rasch, lösen sich aber kontrastierende Bestandteile der verschiedengearte ten Themen einander ab und schaffen so die Voraussetzung zu der am einleiten den Thema orientierten leidenschaftlichen Gipfelung am Schlüsse des Werkes. Wesentlich anders die Grundhaltung der Streicherserenade op. 22 aus dem Jahre 1875, für deren Niederschrift Dvorak nur ganze elf Tage benötigte. Dieses liebenswerte Werk, dessen Entstehung in das Jahr fällt, in dem Dvorak erstmals in den Genuß des österreichischen Staatsstipendiums gelangte, ist in seinen knappen fünf Sätzen im wesentlichen auf die Erfassung anmutiger Stimmungs gehalte angelegt, was sich jedoch nicht schlechthin in Impressionen freier Form, sondern in wohlabgemessenen, sich gern der kanonischen Imitation bedienenden, durchgeformten Charakterstücken äußert. Bei aller Unterschiedlichkeit der ein zelnen Sätze (Einfangen der gefühlswarmen Grundstimmung im ersten, Betonung des Tänzerischen im zweiten, ausgelassene Fröhlichkeit in den Eckteilen des dritten, breit ausgesponnenes, in die Tiefe gehendes Melos im vierten, meister liche satztechnische Arbeit im übermütigen fünften Satz) liegt doch über dem Ganzen der Bogen einer wohligen Geborgenheit im Dasein, die nicht des Auf trumpfens bedarf, um ihr Ja zum Leben zu unterstreichen. Das tut mit allem Nachdruck die D-Dur-Sinfonie, jenes Werk aus der Reihe der Dvofäkschen Belege dieser Gattung, das — obwohl der Entstehung nach das sechste — den Meister erstmals als Sinfoniker der Öffentlichkeit vorstellte. (Auch nachmals erschien sie irrtümlicherweise auf Konzertprogrammen als „erste“, was zu manchem Trugschluß hinsichtlich der Entwicklung des Meisters auf diesem Schaffensgebiet geführt hat.) Die Sinfonie entstand in zeitlicher Nachbarschaft zu den Klängen aus Mähren, den Slawischen Tänzen und Slawischen Rhapsodien, jenen Werken also, die auf Grund ihres urgesunden Musikantentums Dvoraks Ruhm auch jenseits der Grenzen seiner Heimat begründeten. Mit der dritten Slawischen Rhapsodie hatten 1879 die Wiener Philharmoniker den Komponisten erstmals dem musik liebenden Wien vorgestellt. Der eindeutige Erfolg des Werkes veranlaßte sie, insbesondere ihren Dirigenten Hans Richter, Dvorak um eine neue Sinfonie für das hochberühmte Orchester zu bitten. Der Meister kam diesem Wunsche mit der Komposition der D-Dur-Sinfonie nach und widmete sie Hans Richter. Dieser schrieb ihm aus Wien: „Von London zurückgekehrt, finde ich Ihr herrliches Werk, dessen Widmung mich wahrhaft stolz macht. Mit Worten kann ich Ihnen meinen Dank nicht genügend ausdrücken; eine Aufführung, wie sie dieses edlen Werkes würdig ist, soll Ihnen beweisen, daß ich den Wert desselben und die Ehre der Wid mung zu schätzen weiß.“