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haften und noch weniger zerfließt sie in dem wogenden Meer menschlicher Gefühle. Brahms sieht die Gefahren, die in seiner Zeit heraufziehen. Deshalb sammelt er das immer mehr sich aufspaltende Ausdrueksstieben in der großen Allgemeingültigkeit des Volksliedes und volksliedhafter Gestaltung. Deshalb fordert er klassisches Maß, Bändigung der Leidenschaften, auf daß sie nicht ihrerseits den Menschen überwältigen und das wahre Kunstwerk als eine Schöpfung in Frage stellen.“ „Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andere, für dich gibts kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst. 0 Gott! Gib mir die Kraft, mich zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln!“ Diese Tagebucheintragungen berichten uns, wie stark und leidenschaftlich Beethoven in den Monaten, da er an seiner 7. Sinfonie arbeitete, mit seinem Schicksal der Ertaubung gerungen hat. Es war im Jahre 1812, da der Meister seine „Siebente“ komponierte und voll endete. Im gleichen Jahre reiste er zur Kur nach Teplitz, wo er mit Goethe zusammentraf, der in einem Brief über Beethoven urteilte: „Zusammen geraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen!“ Und bei Beethoven lesen wir die stolzen Worte: „Könige und Fürsten können wohl Professoren machen und Geheimräte und Titel und Ordensbänder um hängen, aber große Menschen können sie nicht machen, Geister, die über das Weltgeschmeiß hervorragen, das müssen sie wohl bleiben lassen zu machen. — Und wenn so zwei Zusammenkommen, wie ich und der Goethe, da müssen die großen Herren merken, was bei unsereinem als groß gelten kann.“ Ein jeder Sinfoniesatz der „Siebenten“ verkörpert eine menschliche Welt für sich und ist doch Teil des Ganzen. Die Einleitung mit zwei Themen bereitet das Vivace des ersten Satzes vor, dessen Rhythmus bis zum Ende bestimmend bleibt. Die sinfonische Form wird frei gehandhabt. Freude, Übermut, Kraft und Lebensbejahung bestim men den Charakter des ersten Satzes, und wir verstehen Richard Wagners Bemühen, Beethovens „Drängen nach unmittelbarer sinnlicher Wirklichkeit“ in dieser Sinfonie mit den Worten „Apotheose des Tanzes“ zu charakteri sieren. Zweiter Satz: Ein dreiteiliges Allegretto, in der Physiognomie des Themas (nach W. Carner) an die „Wanderer-Themen Schuberts erinnernd“. Zum Thema gesellt sich eine Gegenmelodie. Ernst, innig und ausdrucksvoll reiht sich Variation an Variation. Zweimal wird das an den ersten Satz erinnernde Scherzo von einem Trio unterbrochen, dessen Weise einem alten österreichischen Wallfahrtslied ent stammen soll. Rhythmische und modulatorische Kühnheiten wechseln mit dynamischen Kontrasten. Ein wirbelndes Spiel ausgelassener Fröhlichkeit. Wer denkt dabei an die zitierten Tagebucheintragungen?