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Extra-Blatt des Dresdner Journals. Ausgegeben: Mittwoch, 12. Februar 1879, Nachmittags ',.6 Uhr. Telegramm des „Dresdner Journals". Berlin, Mittwoch, 12. Februar. (Tel. d. Dresdn. Journ. Aufgegeben in Berlin Nachm. 2 Uhr 4 Min., in Dresden eingegangen um 3 Uhr.) Der Reichstag ist heute Nachmittag 2 Uhr im weißen Saale deS königl. Schlosses durch Le. Majestät den Kaiser mit folgender Thronrede eröffnet worden: „Geehrte Herren! Indem Ich Sie willkommen heiße, drangt es Mich, auch von dieser Stelle Meinen Dank für Gottes Gnade zu wiederholen, die Mich in Gefahr beschirmt und von schweren Leiden geheilt hat. Ich spreche zugleich Meinem Sohne, dem Kronprinzen, nochmals Meine Anerkennung seiner Führung der Re- gierungSgefchäfte aus und danke Ihnen, geehrte Herren, für die Unterstützung, welche Sie den verbündeten Re gierungen gewährt haben, um im Wege des Gesetzes einer gegen die Grundlagen unseres staatlichen und Kulturlebens gerichteten Agitation Einhalt zu thun. Ich darf demnach auch für die Zukunft in gleichem Maße auf Ihre Mitwirkung rechnen, soweit die Heilung unserer socialen Schäden sich als unvollendet erweisen sollte. Die verbündeten Regierungen berathen über die Mittel, welche die Gesetzgebung zu gewähren vermag, um die Uebelstände, unter denen wir auf wirthfchast- lichem Gebiete leiden, zu heben oder zu mindern. Dir Vorschläge, welche Ich Meinen Bundesgenossen theils gemacht habe, theils zu machen beabsichtige, haben zunächst den Zweck, durch Beschaffung neuer Ein nahmequellen für das Reich die einzelnen Regierungen in den Stand zu fetzen, daß sie auf Forterhebung der jenigen Steuern zu verzichten vermögen, welche sie und ihre Landesvertretung als die am schwersten aufzubringenden erkennen. Zugleich bin Ich der Meinung, daß unsere wirthschaftliche Thätigkeit in ihrem gesammten Umfange auf diejenige Unterstützung vollen Anspruch hat, welche die Gesetzgebung über Steuern und Zölle ,hr zu ge währen vermag und in den Ländern, mit denen wir verkehren, vielleicht über das Bedürfniß hinaus ge währt. Ich halte es für Meine Pflicht, dahm zu wirken, daß wenigstens der deutsche Markt der natio nalen Production insoweit erhalten werde, als dies mit unseren Gesammtinteressen verträglich ist, und daß demgemäß unsere Zollgesetzgebung den bewährten Grundsätzen wiederum näher trete, auf welchen die gedeihliche Wirksamkeit des Zollvereins fast ein hal bes Jahrhundert beruht hat und welche in unserer Handelspolitik feit dem Jahre 1865 m wesentlichen Theilen verlassen worden sind. Ich vermag nicht zu erkennen, daß thatsächliche Erfolge dieser Wendung unserer Zollpolitik zur Seite gestanden haben. Die Vorlagen in der angedeuteten Richtung werden, inso weit und sobald die Einigung der verbündeten Regie rungen über dieselben stattgefunden haben wird, Ihrer Beschlußnahme unterbreitet werden. Für den diesjährigen Reichshaushaltsetat, welcher Ihnen ungesäumt zugehen wird, haben neue Ein nahmequellen noch nicht in Aussicht genommen werden können, und es ist daher, um den Etatsabschluß bis zum 1. April zu ermöglichen, die Deckung der Bedarfs ziffer durch Matricularumlagen in Ansatz zu bringen gewesen. Ich darf hoffen, daß noch während Ihrer diesjährigen Session Ihnen die Vorschläge der ver bündeten Regierungen über Ersetzung der Matricular- beiträge durch andere Einnahmequellen werden zugehen können. Als einen dringlichen Gegenstand Ihrer Verhand lungen darf Ich den am 16. December vor. I. mit Oesterreich abgefchlosfenen Handelsvertrag bezeichnen, welcher Ihrer Genehmigung bedarf. Die Verträge, durch welche der zu Bern im Jahre 1874 begründete allgemeine Postverein befestigt und im Abschlusse sei nes Grundgedankens der Gesammtheit der VerkehrS- länder zugänglich gemacht ist, werden Ihnen zur Ge nehmigung zugehen. Ebenso wird der Gesetzentwurf gegen Verfälschung der Lebensmittel Ihrer Berathung von Neuem unterbreitet werden, und werden die Ent würfe zur Ergänzung der Justizgefetze Ihrer Beschluß fassung unterliegen. Um dem Reichstag die Möglichkeit zu gewähren, die Ehre der Mitbürger, welche dem Reichstag nicht angehören, gegen die Ausschreitungen einzelner Mit glieder zu schützen, und seiner eigenen Autorität da, wo sie verkannt wird, vollen Nachdruck zu gewähren, haben die verbündeten Regierungen zu Ihrer Beschlagnahme einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch dessen Annahme die verfassungsmäßigen Befugnisse des Reichstags, nach Art. 27 seine Disciplin selbst zu regeln, eine erweiterte gesetzliche Unterlage gewinnen würden. Die beunruhigenden Nachrichten über den Aus bruch der Pest im Osten Europas haben uns in die bedauerliche Nothwendigkeit gesetzt, Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche dem Verkehr lästig fallen. Die jüngsten Nachrichten geben der Hoffnung Raum, daß die baldige Unterdrückung der Krankheit wenigstens in Rußland den energischen Vorkehrungen der kaiserlich russischen Behörden gelingen werde. Sobald sich dies bestätigt, wird der Grenzverkehr sofort wieder auf den, den politischen Beziehungen beider befreundeten Länder entsprechenden nachbarlichen Fuß gesetzt werden. Die Ungewißheit, in welcher die Schlußbestimmung von Art. V des Prager Friedens von 1866 die Zu kunft der Einwohner der nördlichen Districte von Schleswig erhielt, hat Mich, nachdem die Lösung dieser Frage in wiederholten Unterhandlungen mit Dänemark nicht gelungen war, veranlaßt, mit Sr. Majestät dem Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn in Verhandlung über eine Abänderung jenes Artikels zu treten. Den gegenseitigen freund schaftlichen Beziehungen beider Reiche entsprechend, ist eine Vereinbarung beider Höfe in dem gewünschten Sinne zu Stande gekommen und am 11. Januar d. I. ratificirt worden, deren Wortlaut zu Ihrer Kenntnlß mitgetheilt werden wird. Die Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Krieges im Orient, die Ich beim Beginn der letzten ordentlichen Session aussprach, hat sich erfüllt, und es ist den im vorigen Sommer versam melten Vertretern der Großmächte gelungen, sich über Anordnungen zu verständigen, von deren Durch führung der Schutz der Christen, die Sicherung der Ruhe im türkischen Reiche und die Wahrung des Friedens der Mächte Europas zu erwarten ist. Die durch den Berliner Vertrag bekräftigten friedlichen Be ziehungen der auswärtigen Mächte zu Deutschland und untereinander zu fördern, soll auch ferner die Auf gabe sein und bleiben, in deren Dienst Ich die große Macht verwenden will, soweit sie in Meine Hand ge legt ist. Wenn Mir Gott die Erfüllung dieser Aufgabe gewährt, so will Ich mit dem dankbaren Ge fühl, daß Meine Regierung bisher eine reich gesegnete sei, auch aus die schweren Erfahrungen des letzten Jahres zurückblicken." Herausgeber: Königliche Expedition des Dresdner Journals (Zsvingerstraße Nr. SO). Verantwortlicher Redacleur: Hofrath I. B Hartmann in Dresden — Druck von B. E Teubner in Dresden.