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SCHUBERT.FEIER DER CHEMNITZER VOLKSBÜHNE NEUNTES SINFONIE*KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE CONSTANTIN KREBS SCHUBERT ALS SINFONIKER Als Sängerknabe im Wiener Stadt konvikt tat Franz Schubert einst die Aeußerung: „Wer vermag nach Beethoven etrvas zu machen?“ — Verehrungsvoll blickte er zu dem 27 Jahre älteren Beet hoven auf. Sdiuberts Freund, Moritz v. Schwind, erzählt in seinen Erinnerungen, dall „der Franzei“ für eine Eintrittskarte zum „Fidelio“ sofort, als er die Oper am Anschlagzettel gelesen hatte, seine Bücher zum Antiquar trug. So die Verehrung Sdiuberts für Beethoven! Und umgekehrt? — In einem Brief an Hüttenbrenner be zeugte Beethoven, der sich mit den Kom- E ositionen Schuberts eingehend beschäftigt atte: „Dieser junge Mann wird midi über treffen. Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke!“ — Wenige Wodien später war Schubert unter den Fackel trägern, die dem großen Toten die letzte Ehre erwiesen. — Als Sinfoniker hat Sdiubert den Titanen Beethoven sicher nidit „übertroffen“. Zwar sind beider Kompositionen fast alle „in Schmerzen geboren“. Ein Berührungspunkt. Aber bei Beethoven war es das Ringen, das Sichdurdiringen zu dem Werk, der Kampf zum Sieg, der das Werden aller seiner Schöpfungen charakterisierte. Bei Schubert war es die bittere Not des Lebens, die Tragik der Armut, die ihm das Schaffen vergällte: Armut, die so weit ging, daß er oft nicht das Notenpapier erstehen konnte, um seine schönsten Schöpfungen aufzu schreiben. Die genialsten Kompositionen Schuberts aber sind plötzlich Improvisatio nen gewesen. Beethoven kämpfte um seine Ideen und rang mit ihnen. Beethoven zwängte als Sinfoniker sittliche und außer weltliche Gedanken in die Form der Musik. „Sdiuberts Musik ist eben „Musik an sich“, der tönende Ausdruck eines ebenso reinen als reichen Gefühlslebens. Schönheit und Wohlklang bilden das eigentliche Wesen seines Musikschaffens. Dieser Meister ist durch jenes „elfenbeinerne Tor“ gegangen, von dem E. Th. A. Hoffmann spricht, hin ter dem die seltsamen wunderbaren Träume träumen, die nur ein Berufener zum Leben, zum Gestalten zu erwecken vermag. Die überlieferten musikalischen Formen der Sinfonie hat Schubert uicht umgewertet. Sie genügten ihm als Gefäß: aber was er in sie hinein tat, war ein seelisdier Inhalt von ungeahntem Reichtum, zu dessen fein ster Abschattierung er Ausdrucksmittel in harmonischen und modulatorischen Kühn heiten, in einem Kolorismus der Töne fand, wie es bis dahin unerhört war. Man blickt in seinen beiden großen Sinfonien (in C-Dur und H-Moll) gleichsam in eine neue Welt. Allerdings, der hinreißende, dramatische Zug der Beethovenschen Tondichtung mußte dem Lyriker Schubert fehlen. Aber die ganz aus sinnenfroher Daseinslust und weltlich abgewandter Schwermut seltsam gemischte Poesie läßt keinen, dem sie aus diesen Sinfonien einmal entgegenklang, wieder aus ihrem Bann. „DIE GROSSE" IN C=DUR Sie ist die aus unbekümmerter Emp findungslyrik quellende und freudige Le bensbejahung bekundende gewaltigste Sdiöpfung des Meisters. Aus dem frucht baren Wiener Boden erwachsen, gesegnet von der blühenden Romantik aus Ungarns Zonen, strömt diese Sinfonie einen Reichtum von Stimmungen und Gefühlen aus, wie kaum ein sinfonisches Werk der Zeit nach Beethoven. „Leben in allen Fasern, Kolorit bis in die feinste Abstufung“ — so nennt Robert Schumann die charakteristischen Merkmale der Sinfonie. Schumann ver danken wir ja die „Erweckung“ dieses V/underWerkes; Sdiubert selbst hat es nie mals erklingen gehört. Kaum ein halbes Jahr vor dem allzufrühen Tode seines Schöpfers entstanden, fand es Schumann unter den nadigelassenen Manuskripten Sdiuberts bei dessen Bruder. Er sorgte für die Erstaufführung der „Sinfonie mit den himmlischen Längen“, wie er sie nannte, durch Felix Mendelssohn-Bartholdy im Leip ziger Gewandhaus (die Wiener Philharmo niker hatten eine Einstudierung als „zu lang und zu schwer“ abgelehnt). In der großartigen Vision dieser Sin fonie, die von dem breiten ersten Satz an bis zu dem Himmel- und Höllenjubel des Finales zu gigantischer Ekstase hinaufführt, lernt man den „geruhigen Wiener Franzei“ von einer ganz neuen Seite kennen: den himmelstürmenden Schubert, der den Trotz, die Verzweiflungen, das Jauchzen des Ueberglückes kennt und weit entfernt ist von dem „Alt-Wiener“ Schubertklischee, dus von sentimentalen Seelen so gern feil geboten wird. Wie da Satz um Satz hinan klimmt: jedes Instrument, jeder Takt, jeder Hauch mit hellspürender Logik ins Ganze gefügt, ein Klang den andern gleichsam er zeugend und erzwingend, bis zum Schlüsse dieMusik sich in den Rausch von Rhythmus und Klang stürzt, unersättlich im Jubel, aufstampfend und auf jauchzend in Lust. — Da spürt mau das Dionysische einer Mu sik, die in die Ewigkeiten fliegt: ein Tanz, in dem das ganze Weltall mittanzt, Sonne. Mond und Sterne, Glück und Unglück.