Volltext Seite (XML)
M O 0 0 <) Für den berühmten Geiger Joseph Joachim hat Brahms sein 1878 ver öffentlichtes Violinkonzert komponiert. Es fällt auf, daß das Werk weniger virtuosen, als vielmehr streng sinfonischen Charakter trägt. Also das rein Technische beim Soloinstrument ist nicht Selbstzweck, und die Begleitung des Orchesters ist nicht etwas Untergeordnetes, sondern Soloinstrument und Orchester arbeiten jedes gleichberechtigt organisch ineinander. Der Schwerpunkt liegt sogar fast mehr im Orchester. Im ersten Satz (Allegro non troppo = nicht zu rasch) herrscht romantisch-ländlicher, auch behaglicher Charakter. Hörnerklang gibt dem Hauptthema die Grundfarbe. Ein freundlich anmutendes Gesangsthema bringt Abwechslung, ebenso einige Nebengedanken sentimentaler oder auch kräftiger Art. Im zweiten Satz (Adagio = langsam) gibt die Oboe das Hauptthema an, welches die Solovioline dann abwandelt. Zartheit und Milde, Keusch heit ist der Charakter des Satzes. Der Schlußsatz (Allegro giocoso, ma non troppo vivace, heiter belebt, aber nicht zu lebendig) ist in Rondoform. Ein Hauptthema A wechselt immer ab mit Nebenthemen B, C, D usw. Diese machen gewissermaßen die Runde (Rondo) um A. Schwungvoll ist das Ganze gehalten. Ungarische Rhythmen geben einen pikanten Reiz. Die Sinfonie Nr. 4 (E-Moll) ist seine letzte und reifste Sinfonie (entstanden 1884/85). Dem seelischen Gehalte nach kann man in diesem überwiegend herben, ernsten Werke einen Gesang von der Vergänglichkeit alles Irdischen sehen. 1. Satz: Allegro non troppo (nicht zu rasch). Das schlichte, liedartige Hauptthema setzt ohne Einleitung sofort in den Violinen ein, wird von den Holzbläsern und Bässen übernommen und erhält in einem rhythmisch markanten, ritterlichen Fanfarenthema der Hörner und Holzbläser einen interessanten Gegensatz, ln der beide Themen verarbeitenden Durch führung behält der Gegensatz das Uebergewicht. Die dann folgende Wiederholung des ersten Teiles führt in leidenschaftlicher Steigerung den Satz zu Ende. 2. Satz: Andante moderato (ruhig-gemäßigtes Zeitmaß). Altertümelnder Charakter; bailadenhafte, romantische, frohe und wehmütige Stimmungen gehen von dem auf älterer Harmonik aufgebauten, den Satz be herrschenden Thema aus. 3. Satz: Allegro giocoso (scherzhaft bewegt). Ein wilder, knorriger Humor mit dämonisch-grausigem Unterton, nur vorübergehend von freund licheren Lichtern unterbrochen, gibt dem Satz sein ganz eigentümliches Gepräge. 4. Satz: Allegro energico e passionato (entschlossene und leidenschaftliche Bewegung). Flammenschriftartig stellen am Anfang sämtliche Bläser ein fast drohendes, mahnendes Thema hin. 32 kunstvolle Veränderungen des Themas bilden den weiteren Inhalt des Satzes. Die Mystik mittel alterlicher, düsterer Dome scheint in Tönen ausgedrückt, zugleich der Geist der Unerbittlichkeit gewaltiger Schicksale. Dr. Kreiser.