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Jedenfalls ist es schon als ein grofser Gewinn , anzusehen, dafs die Staatsregierung nunmehr die Ueberzeugung gewonnen zu haben scheint, dafs die Kleinbahnen, weit entfernt davon, die Staats bahnen durch Verkehrsentziehung zu schädigen, im Gegentheil deren Verkehr durch Zufuhr kräftigen und heben, sowie ihre eifrigsten Zubringer sein werden, und dafs mit der Anerkennung der Be- dürfnifsfrage und mit der Erkenntnifs, dafs die Staatsregierung aufser stände ist, dieses Bedürfnifs allein auf Kosten des Staates befriedigen zu können, nunmehr auch der Zeitpunkt gekommen ist, die Privatindustrie zur Anlage von Bahnen wieder heranzuziehen. Der Herr Eisenbahn minister erklärte nämlich bei der Berathung des Gesetzentwurfs im Landtage, dafs die Staats regierung zwar nicht daran denke, mit der Vor lage des Tertiärbahngesetzes sich der Pflicht zu einem weiteren Bau von Nebenbahnen zu ent ziehen, denselben vielmehr nach wie vor fortsetzen wird, dafs jedoch der Staat allein nicht in der Lage ist, allen Anforderungen zu genügen, da im Ministerium der öffentlichen Arbeiten bereits Anträge auf den Bau von Nebenbahnen im Um fange von 17 000 km vorliegen, welche einen Kostenaufwand von 21/2 Milliarden Mark und bei einer Verwendung von 30 Millionen Mark im Jahre einen Zeitaufwand “von etwa 80 Jahren erfordern würden. Der Herr Minister bemerkte ferner, dafs wir überhaupt etwas mehr Vertrauen haben sollten, das Richtige zu finden und die Schäden zu über winden, wie es in anderen Ländern, wo die Verhältnisse noch ungünstiger liegen, möglich war. Was in Belgien, Holland, Italien möglich war, das werden auch wir leisten können, und wer durch diese Länder, namentlich durch Ober- Italien, nur einmal als Tourist reist, dem wird — in solchem Mafse gereicht das Kleinbahnwesen dem Lande zum Vortheil — der Segen klar werden, den dieses Kleinbahnwesen, gleichsam ein Kanalnetz, über das Land ausgebreitet hat. Wenn der Herr Minister hierbei erwähnt, dafs die Staatseisenbahn-Verwaltung es bisher schon als ihre Aufgabe betrachtet hat, nur den Bau solcher Bahnen auszuführen, welche noch unter das Gesetz von 1838 über Eisenbahn- Unternehmungen fallen, dagegen den Bau von Bahnen unterster Ordnung der Privatthätigkeit der zunächst Betheiligten überlassen wollte, diese Selbsthülfe jedoch nicht in ausreichendem Mafse ausgeübt worden und Preufsen mit solchen Bahnen gegen andere Länder zurückgeblieben sei, weil man sich bisher selbst in betreff der Bahnen rein localer Bedeutung, die besser den wirthschaftlich Interessirtcn überlassen bleiben, fast ausschliefslich auf die Hülfe des Staates verlassen habe, so ist dies wohl der im letzten Jahrzehnt von der Staatsregierung selbst zurück gedrängten Privatthätigkeit auf diesem Gebiet zu zuschreiben. Wir zweifeln daher auch nicht, ’ dafs, wenn in dieser Beziehung durch den vor liegenden Gesetzentwurf Wandel geschaffen, die Staatsregierung von zu weitgehenden Anforde rungen entlastet und die Privatthätigkeit zu neuem Leben erweckt wird, dies gegenwärtig, in einer Zeit des wirthschaftlichen Rückganges, besonderen Erfolg verspricht und unter einiger- mafsen günstigen Bedingungen der nachhaltigen Unterstützung der Privatthätigkeit sicher sein darf. Immerhin wird allerdings der Erfolg des Gesetzes in erster Reihe davon abhängen, welche Stellung die Interessenten und Behörden, ins besondere die Staatsregierung, dazu nehmen werden und ob man den ernstlichen Willen hat, der Ausführung der auf 17 000 km mit einem Kostenaufwande von 21/2 Milliarden Mark vor liegenden Anträge auf den Bau von Nebenbahnen in umfassender Weise und in absehbarer Zeil näher zu treten. Ist dies, wie wir glauben nach den Er klärungen der Staatsregierungen annehmen zu dürfen, der Fall, dann scheint es uns als eine dringende Nothwendigkeit, die im Ministerium der öffentlichen Arbeiten vorliegenden Anträge in Bezug auf ihre Zweckmäfsigkeit und Aus führbarkeit zu prüfen und im voraus eine, wenn auch nur vorläufige Entscheidung darüber zu treffen, welche Bahnen im öffentlichen Interesse überhaupt nothwendig sind, welche Bahnen die Staatsregierung für eigene Rechnung ausführen und welche sie den Interessenten bezw. der Privatindustrie überlassen bezw. später wieder zurückkaufen will. Sollte die Staatsregierung zu einer derartigen allgemeinen Prüfung der Bedürfnifsfrage nicht geneigt sein und auch fernerhin das bisherige Verfahren beibehalten wollen, nach welchem es als ein besonderer Vortheil angesehen wurde, bei Erweiterung des Eisenbahnnetzes nicht nach einem bestimmten, für einen längeren Zeitraum aufgestellten Plane zu verfahren, sondern das zur Zeit bestehende Bedürfnifs entscheiden zu lassen, sowie grofse durchgehende Linien zu ver meiden und nur solche Linien zu schaffen, welche den betreffenden Landestheilen zur Aufschliefsung der betreffenden Parthien dienen und sich thun- lichst an die Bedürfnisse des Landes anschliefsen, so würden wir es für eine Aufgabe der Provinzial verwaltung halten, diese Prüfung vorzunehmen und dadurch zur Aufstellung eines Planes aller bisher erforderlichen Bahnen zu gelangen. Die Provinzialverwaltung von Schlesien ist bereits vor einer Reihe von Jahren in gleicher Weise vorgegangen, und vor kurzem hat sogar der Oberpräsident der Provinz Westpreufsen in einem amtlichen Rundschreiben mit Recht hervorgehoben, dafs es nothwendig sei, in die Bestrebungen der Betheiligten, welche sich gern an die Gentralbehörden oder an ihre Abgeordneten mit