Volltext Seite (XML)
1100 Nr. 24. » STAHL UND EISEN.“ December 1892. Industrie und Arbeiterverhältnisse absolut nichts erfahren kann, was ich nicht viel besser selber wüfste und jeder Aufsichtsbeamte unbedingt wissen mufs, wenn er mit nur halb offenen Augen in der Industrie Umschau gehalten hat. Ich gestehe es unumwunden, ein unterrichteter Arbeiter, gleich viel welchen Parteistandpunktes, kann für mich als Auskunftsperson eher in Frage kommen, als der Secretär eines Interessenvereins. Hr. Beumer geht ja anscheinend nur gegen die angeblichen Auswüchse in der Gesetzgebung und in der Verwaltung vor, soweit durch dieselben die wirthschaftlichen Interessen geschädigt werden sollen. W er sich seine Ausführungen näher an sieht, gewinnt jedoch die Ueberzeugung, dafs es seinen Wünschen entsprechen würde, wenn die ihm unbequeme Fabrikaufsicht, welche der Staat durch technisch - wissenschaftlich gebildete und praktisch erfahrene Beamte ausüben läfst, „durch Nichtanwendung“ gemildert würde. Mag der Staat auf allen Gebieten seine Hoheits- und Aufsichts rechte ausüben, nur die Grofsindustrie, insbesondere die Nordwestliche Gruppe der Eisen- und Stahl industrie, deren Geschäftsführei' Hr. Beumer ist, verschone er! Wiewohl Hr. Beumer mit der schaffenden Thätigkeit der Industrie als Secretär eines Industrie ■ Interessenvereines nur in den losesten Beziehungen steht, so genirt es ihn doch, dafs die Industrie unter die Auf sicht von Beamten gestellt wird, selbst wenn dieselben aus ihr hervorgegangen sind. Ganz anders ist die Auffassung der Industriellen und Werksdirigenten selbst; diese sind, soweit mein grofser Freundeskreis in Frage kommt, stolz darauf, dafs der Techniker als gleichberechtigtes Glied in den Verwaltungsapparat eingefügt worden ist, und dafs ihre Angelegenheiten in der Ver waltung durch Fachgenossen vertreten und ge fördert werden. Hr. Beumer klagt darüber, dafs die Inhaber oder Leiter von Betrieben für Vergehen gegen die den Schutz jugendlicher Arbeiter betreffenden gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch genommen und bestraft würden, trotzdem sie mit den Arbeitern, also mit dem eigentlichen Betriebe, absolut nichts zu thun hätten. Es ist Ihnen ebensogut wie mir bekannt, dafs auf Grund des § 151 der früheren Gewerbeordnung„derStellvertreter“ eines Gewerbe treibenden für die bei Ausübung des Gewerbes übertretenen gesetzlichen Vorschriften verant wortlich war und dafs Beide verantwortlich waren, wenn die Uebertretung mit Vorwissen des ver fügungsfähigen Vertretenen begangen worden war. Nach diesen gesetzlichen Vorschriften konnten die unteren Betriebsbeamten der Fabriken, welchen naturgemäfs die Beaufsichtigung jugendlicher Arbeiter in Fabrikbetrieben obliegt, nicht heran gezogen werden, da nur der eigentliche Stellver treter und der Besitzer selbst verantwortlich waren. Es unterliegt keinem Zweifel, dafs auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung richterliche Entscheidungen gegen Personen herauskommen mufsten, die wir als Fachleute nicht gut als die wirklich verantwortlichen ansehen konnten. Das ist nun durch die Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 geändert worden, da nach der jetzigen Fassung des § 151 die zur Leitung des Betriebes oder eines Theiles desselben durch den Gewerbetreibenden bestellten Personen dafür verantwortlich sind, dafs bei Ausübung des Gewerbes die gesetzlichen Vor schriften erfüllt worden. Was will Hr. Beumer nun in diesem Augenblicke mit seinen Klagen übei' die Härten des Gesetzes in Beziehung auf den Unternehmer? Von dem Secretär für die wirthschaftlichen Interessen Ihres Vereins konnten Sie erwarten, dafs er die in Düsseldorf versammel ten Werksdirectoren auf diese Aenderung des Gesetzes aufmerksam machte, da mancher der Herren sich lieber zur Beschäftigung jugendlicher Arbeiter entschliefst, wenn er die Verantwortung für die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften seinen Obermeistern überlassen kann, die ja doch in der That ihrer Thätigkeit nach auch nur in der Lage sind, hier die erforderliche Einwirkung zu üben. Hr. Beumer hat diese Gesetzesänderung nun entweder gar nicht gekannt, oder, da es ihm augen scheinlich nur darum zu thun ist, Unzufriedenheit zu erregen, dieselbe absichtlich verschwiegen. Hr. Beumer erzählt eine traurige Geschichte von einem unglücklichen Werksdirector. Derselbe wurde bestraft, weil für einen aus alten Steinen auf dem Lagerplatze der Hütte errichteten Röstofen keine Concession vorhanden war. Was stellt sich Hr. Beumer eigentlich unter einem Röstofen vor? Ist es in Rheinland und Westfalen, wo ich Aufsichtsbeamter in den Be zirken Arnsberg, Aachen und Trier war, jetzt Mode geworden, Röstöfen aus alten Steinen auf dem Lagerplatze der Hütte zu errichten? Ich könnte den Fall übergehen, weilHr. Beumer sich hier in seinen Angriffen hauptsächlich gegen die Gerichte wendet, in .deren Verhandlungen in Deutschland thatsächlich nicht die Bsdürfnisse des praktischen Lebens“ berücksichtigt werden sollen. Ich bin aber berechtigt, auf den Fall ein zugehen, weil der gerichtlichen Entscheidung je eine polizeiliche Anzeige, womöglich gar durch einen Gewerbe-Aufsichtsbeamten, voraufgegangen ist. Dafs das Gericht in dem genannten Falle nach Lage der gesetzlichen Vorschriften erkennen mufste, ist klar. Nach § 147 Abs. 2 der Gewerbe ordnung macht sich derjenige strafbar, der eine von der im § 16 der Gewerbeordnung benannten Anlage ohne Genehmigung errichtet, oder die Bedingungen nicht inne hält, unter denen die Ge nehmigung ertheilt worden ist. In dem für diese Gesetzesübertretung geltenden Strafparagraphen kommt ohne Zweifel zum Ausdruck, dafs wir in einem Industriestaat leben, in welchem es ängst lich vermieden wird, die Interessen der Industrie