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Arbeiterorganisation besteht, oder in Bildung begriffen ist, wo es sich zugleich um grofse und wichtige In- dustrieen mit vielen Tausenden von Arbeitern handelt, durch Specialgesetze eingreife und die an sich vor handene Bewegung in normale Bahnen leite.“ Dafs Professor Schmöller die optimistische Anschauung Brentanos und namentlich dessen Schülers v. Schulze-Gävernitz in Bezug auf die englischen Gewerkvereine nicht theilt, ist allgemein bekannt; seine Aeufserungen werden daher in vielen Beziehungen auch bei den entschiedensten Gegnern der Gewerkvereine und sonstigen Arbeiter organisationen volle Zustimmung finden; einige Bemerkungen zu seinen Schlufsfolgerungen möchte ich mir aber doch gestatten. Alle einsichtsvollen und in der gegenwärtigen socialen Bewegung überhaupt in Betracht kommen den Gegner der Arbeiterorganisationen werden mit Prof. Schmöller und mir darin übereinstimmen, dafs es in unserer Zeit kein Mittel giebt, das Arbeitervereinswesen zu unterdrücken oder die weitere Entwicklung desselben direct zu hindern. Ebenso einig aber sind die Gegner in der Ueber- zeugung, dafs im Hinblick auf die Ausschreitungen der Arbeiterverbände, den falschen Geist, der in ihnen herrscht, ihre falsche Organisation, ihren Terrorismus, ihre revolutionären Tendenzen — ich gebrauche hier die eigenen Worte Schmöllers — Alles unterlassen werden sollte, was geeignet erscheint, die Organisation der Arbeiter zu fördern. Mit Rücksicht auf diesen Standpunkt wird der Widerstand erklär lieh, den die Gegner der Arbeiter organisationen der Bildung sogenannter Arbeiter ausschüsse entgegensetzen. Freilich besteht die Thatsache, dafs nicht wenige Arbeitgeber solche Ausschüsse freiwillig bei sieh eingeführt haben. Dem gegenüber möchte ich zunächst bemerken, dafs eben nicht alle Industriellen von gleichen politischen und socialen Ueberzeugungen geleitet werden, dafs es demgemäfs auch unter ihnen Freunde und Förderer der Arbeiterverbände giebt. Daneben kommt auch die Verschiedenheit der individuellen Beanlagung und der mitwirkenden Interessen in Betracht, woraus sich ergiebt, dafs der Eine weniger imstande ist, . oder es für weniger zweckmäfsig erachtet, einer von mafs- gebender Stelle ausgehenden Strömung dauernden Widerstand entgegenzusetzen, als der Andere. Wer aber beispielsweise in der Arbeit des Professor Dr. Max Sering über die Arbeiterausschüsse, ver öffentlicht in Band XLVI der Schriften des Vereins für Socialpolitik, von den daselbst abgedruckten, von den Arbeitgebern festgestellten Statuten solcher freiwillig errichteten Arbeiterausschüsse Kenntnifs nimmt, der mufs sich wundern über die Gering fügigkeit der solchen Ausschüssen gewährten Be fugnisse. Man könnte an der Hand dieser Statuten sich veranlafst fühlen, diese Arbeiterausschüsse als harmlos, als eine Spielerei anzusehen, wenn diese Spielerei, vom entgegengesetzten Standpunkte aus betrachtet, nicht einen so ernsten, gefähr lichen Hintergrund hätte. Denn es fehlt nicht an Beispielen, welche zeigen, dafs die Arbeiter ausschüsse consequent die Erweiterung ihrer Be fugnisse und damit die Einengung der Stellung des Arbeitgebers und, zur Unterstützung ihrer Bestrebungen, die Organisation der Arbeiter er streben. Solche Bestrebungen sind besonders scharf hervorgetreten bei den Königlich preufsischen Staatsbetrieben, deren Vorgehen mit Bildung von Arbeiterausschüssen s. Z. die ernstesten Bedenken in weiten industriellen Kreisen hervorrief. Die u. a. auf den staatlichen Gruben im Saarrevier mitden Arbeiterausschüssen gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dafs jene Bedenken wohl begründet waren. Professor Schmöller erachtet das berufsmäfsige Arbeitervereinswesen für nöthig und unentbehrlich, um die Arbeiter moralisch und geistig zu heben, sie zu schulen und sie zu erziehen. Eine der artige Einwirkung mufs unbestritten den Arbeiter organisationen , besonders den alten englischen Gewerkvereinen, zugestanden werden, jedoch nur auf gewissen Gebieten, so beispielsweise wo es sich darum handelte, durch genossenschaftliche Unternehmungen oder durch Bildung von Unter stützungskassen die Lage der Arbeiter zu bessern. Nach der von Schmöller selbst mit so starken Worten constatirten Entartung des Arbeitervereins wesens dürfte dieses erziehende Moment jedoch weit zurücktreten hinter die üblen Einwirkungen, denen die Arbeiter in jenen Vereinigungen jetzt ausgesetzt sind; denn sie sind, besonders auch infolge des von Schmöller gleichfalls zugegebenen, immer weiteren Eindringens socialdemokratischer Ideen, mehr geeignet, die bösen Leidenschaften zu entwickeln und zu deren Bethätigung an zustacheln, als den Arbeiter moralisch und geistig zu heben. Professor Schmöller betrachtet es auch als eine Forderung der Gerechtigkeit, dafs das Ar beitervereinswesen nicht gehindert werde, weil ohne dasselbe die Arbeiter ihren berechtigten Interessen nicht Anerkennung verschaffen können. Ich glaube behaupten zu dürfen, dafs in keinem Lande der Welt die Interessen der Arbeiter eine so weitgehende Berücksichtigung gefunden haben wie in Deutschland; auf dem bedeutungs vollsten Gebiete der Arbeiterversicherungsgesetz gebung ist diese Berücksichtigung eingetreten nicht nur nicht infolge der Bestrebungen der Arbeiterverbände, sondern trotz des Widerstands der meisten und bedeutendsten derselben. Der Arbeiterschutz ist gleichfalls in Deutsch land am weitesten gediehen, und um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es des Drängens der Arbeiter- j verbände nicht. Die Erweiterung des Arbeiter- i Schutzes war die Folge des allgemeinen Cultur- fortschrittes, welcher die Gesellschaft zur gröfseren Berücksichtigung der Arbeiterinteressen führte, I und des gröfseren Verständnisses des Staates und