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Auffassung mit dem Buchstaben und Sinn des Gesetzes kaum noch vereinbare ist. Daher kommt ferner die höchst ungleichartige Handhabung des Gesetzes in den verschiedenen. Gantonen. Nicht das strenge Recht, sondern die Billigkeit ist mafsgebend. Härten des Gesetzes werden in der Praxis durch Nichtanwendung gemildert. Der Zweck des Gesetzes, die ratio legis, und die jeweiligen Bedürfnisse des praktischen Lebens, werden bei der Auslegung weit mehr wie in Deutschland berücksichtigt.“ Nun, m. H., bei uns werden Härten des Gesetzes in der Praxis durch Nichtanwendung nicht gemildert und die jeweiligen Bedürfnisse des praktischen Lebens bei der Auslegung nicht berücksichtigt; das weifs Jeder, der mehrfach in der Lage gewesen ist, den Gerichtsverhandlungen beizuwohnen, in denen die kleinsten Verstöfse gegen die Gewerbeordnung mit rücksichtsloser Strenge bestraft wurden. Ich brauche in dieser Beziehung nur an die Fälle zu erinnern, in denen die Inhaber oder Leiter von Betrieben für Vergehen gegen die den Schutz jugendlicher Arbeiter betreffenden gesetzlichen Bestimmungen in Anspruch genommen und bestraft wurden, trotzdem sie mit den Arbeitern, also mit dem eigentlichen Betriebe, absolut nichts zu thun hatten. Wurde doch in einem Falle- das in Eschweiler wohnende Mitglied einer Ruhrorter Gentraldirection von dem Gericht in Duisburg verurtheilt, weil auf dem Ruhrorter Werke Jungen unter 16 Jahren zu unerlaubter Zeit beschäftigt gewesen waren! Wurde doch in einem andern Falle der Director eines grofsen Werkes wegen einer Gewerbecontravention verurtheilt, die beinahe 24 Jahre alt und die in dem ersten Jahre passirt war, in dem der betreffende Director in das Werk eintrat, von der er aber nicht einmal wufste, dafs sie vorgekommen. Er wurde verurtheilt, weil die sämmtlichen Personen, die damals aufser ihm in der Direction oder als Leiter der Hütte verantwortlich waren, nicht mehr lebten. Es handelte sich um einen Röstofen, der von dem früheren Director der Hütte aus alten Steinen auf dem Lagerplatze ohne Goncession gebaut worden, aber 10 Jahre lang vor der Verhandlung der Sache schon nicht mehr betriebsfähig war, wenigstens nicht mehr gebraucht wurde. Es wurde jedoch constatirt, dafs die Rechtsanschauung dahin gehe, dafs, so lange überhaupt das Gemäuer stehe, es als Ofen anzusehen sei (Grofse Heiterkeit!), und das Vergehen fange erst an zu verjähren, wenn der ohne Concession gebaute Ofen nicht mehr da sei. Wenn der Director zu der Zeit, wo der Ofen gebaut wurde, einen Menschen todtgeschlagen oder ein mit der Todesstrafe zu belegendes Verbrechen begangen hätte, würde ihm Niemand mehr etwas haben thun können; weil aber der Ofen, wenn auch vollständig unbrauchbar, noch dastand, mufste der Director als Angeklagter auf dem Armensünderbänkchen sitzen und wurde verurtheilt. Solche Fälle — und deshalb bin ich hier, obwohl sie nicht, streng genommen, zu der von mir zu behandelnden Frage gehören, einmal etwas näher im Kreise von technisch gebildeten Leuten auf dieselben eingegangen — solche Fälle sind aufserordentlich lehrreich, weil sie zeigen, dafs bei den auf Gewerbeordnungs-Gontraventionen bezüglichen Gerichtsverhandlungen in Deutschland thatsächlich nicht „die Bedürfnisse des praktischen Lebens berücksichtigt“ oder „Härten des Gesetzes in der Praxis durch Nichtanwendung gemildert werden“, wie in der Schweiz. (Sehr wahr!) Dr. Königs theilt zudem auf Seite 93 seines Buches noch ausdrücklich Folgendes mit: „Die gerichtlichen Bestrafungen, welche meist erst nach wieder holten Verwarnungen seitens der Fabrikinspectoren oder der Cantonalbehörden veranlafst wurden, sind durchweg sehr milde ausgefallen. Eine Verurtheilung zu Gefängnifs ist nach meinen Erkundi gungen seit Inkrafttreten des Fabrikgesetzes überhaupt noch nicht erfolgt. Wiederholt führen sowohl die Fabrikirrspectoren wie das Bundesdepartement Klagen über ungerechtfertigt geringe Bestrafungen seitens der Gerichte.“ Dafs so etwas in Deutschland völlig unmöglich ist, m. H., brauche ich nicht erst zu beweisen. Um so vorsichtiger aber sollte man, meine ich, darum bei uns sein, die Handhabung unserer Gesetze durch Ausführungsbestimmungen zu compliciren, welche — offenbar von solchen Juristen, die keinen Schimmer von Kenntnifs der technischen Betriebe haben, aufgestellt — dazu angethan sind, den Betrieb in der bisherigen Weise unmöglich zu machen bezw. die Beschäftigung einer gewissen Kategorie von Personen gänzlich zu verhindern. Dies ist nun unzweifelhaft der Fall bei jener bundesräthlichen Ausführungsbestimmung, betreffend die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Walz- und Hammerwerken, die uns heute beschäftigt. Der hier in Betracht kommende Theil der Ausführungsbestimmung lautet: 1. Das in den Fabrikräumen auszuhängende Verzeichnifs der jugendlichen Arbeiter ist in der Weise aufzustellen, dafs die in derselben Schicht Beschäftigten je eine Abtheilung bilden. 2. Das Verzeichnifs braucht eine Angabe über die Pausen nicht zu enthalten. Statt dessen ist dem Verzeichnifs eine Tabelle beizufügen, in welche während oder unmittelbar nach jeder Arbeits schicht Anfang und Ende der darin gewährten Pausen eingetragen wird. Die Tabelle mufs bei zweischichtigem Betriebe mindestens über die letzten vierzehn Arbeitsschichten, bei dreischichtigem Betriebe mindestens über die letzten zwanzig Arbeitsschichten Auskunft geben. Der Name desjenigen, welcher die Eintragungen bewirkt, mufs daraus zu ersehen sein.