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Die Klagen, welche zur Zeit erhoben werden, sind folgende: Eine gefahrbringende Urtheils- losigkeit in technischen Dingen soll unter den Nichttechnikern in den für das Bau-Ingenieur wesen mafsgebenden Kreisen bestehen; zugleich wird über das Bestreben geklagt, den Techniker unselbständig zu machen und die Entscheidung auch in kleinen Dingen so weit aufwärts zu ver schieben, dafs diejenige Person, welche die Ent scheidung zu treffen hat, eigentlich den Verhält nissen fremd und urtheilslos gegenüber steht und darum von dem Untergebenen erst durch lang- athmige Berichte aufgeklärt werden mufs. Unter diesen Umständen wird viel Zeit vergeudet, das Schreibwerk wächst gewaltig an und die Kosten des Verwaltungsapparates steigen; denn mit der Wucherung dieser Arbeiten erfährt auch die Zahl der technischen Beamten und der Unterbeamten eine unerwünschte Vermehrung. Endlich wird hervorgehoben, dafs durch dieses System das Interesse für alles Technische, namentlich für die wissenschaftliche Förderung des Bau - Ingenieur wesens, untergraben werde. Der Beamte sagt sich: „Wozu hast du so viele Jahre hindurch die technische Wissenschaft studirt, wenn du jetzt das Alles des vielen Schreibwerks halber thatsächlich ruhen lassen mufst?“ Es ist schon seit Jahren so weit gekommen, dafs Docenten technischer Hochschulen die intelligentere Jugend davor warnen, eine Laufbahn zu wählen, welche sie in den Verwaltungsdienst führt; es sei da kein Raum für individuelle Entwicklung, wird behauptet. Dafs unter diesen Umständen die Technik Schaden nehmen mufs und mit ihr auch die technisch - wirthschaftlichen Interessen von Staat und Gemeinde, liegt auf der Hand. Nachtheilig mufste es ferner für das Bau- Ingenieurwesen sein, dafs man bei den Be strebungen, den Stand der Techniker in der Staatsverwaltung zu heben, für die Reform der Berufsausbildung äufsere Beweggründe mafs- gebend sein liefs. Man hat sich auf technischer Seite bemüht, die Berufsausbildung des Ingenieurs äufserlich derjenigen des Juristen ähnlich zu ge stalten, in der Hoffnung, hierdurch leichter eine Gleichstellung beider Beamtenklassen zu erreichen. Ob diese Mafsnahme auch einer guten Ausbildung dienlich und sachlich gerechtfertigt sei, wurde dabei kaum erwogen. Wir finden bei dem Kampf für und wider Gymnasium und Realschule etwas Aehnliches. Standesinteressen gaben auch hier den Ausschlag, es thaten dies nicht die sach lichen Beweggründe. Es kam hinzu, dafs die Schulmänner, ohne eine hinreichende Kenntnifs unserer wahren Bedürfnisse zu besitzen, die Technik in eine Sonderstellung verwiesen. Man machte sich das Leben unnütz sauer, indem man annahm, dafs für die Technik eine wesent lich andere Vorbildung erforderlich sei, als für andere Berufszweige; andererseits unterliefs man es, für nichttechnische Berufszweige die zweck dienlichste Schulbildung allmählich, auf praktische Versuche gestützt, festzustellen; man fand es be quemer, an die Stelle ernsthafter pädagogischer Untersuchungen eine Querschnittssumme vor- gefafster Meinungen zu setzen. Von der Schule soll der Abiturient allgemeine Bildung mitbringen; dazu sind vor allen Dingen diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu rechnen, welche im Leben gefordert, aber durch die Berufs bildung nicht erworben werden können. Der Abiturient, welcher sich der Technik zuwenden will, hat auf der Hochschule hinreichende Ge legenheit, in der Mathematik und den Natur wissenschaften sich zu vervollkommnen ; derselbe braucht also nur gründliche Kenntnisse in den Elementen dieser Fächer zu besitzen. Es ist durchaus unwahr, dafs es für die Hebung der technischen Ausbildung erforderlich sei, schon auf der Schule eine Bevorzugung des Unterrichts in den realen Wissenschaften in einem Umfang eintreten zu lassen, dafs dadurch die allgemein bildenden Fächer Beschränkung zu erleiden haben. Was die Hochschule nicht zu geben vermag, das ist mathematisches Gefühl, persönliche Beanlagung zur Mathematik und zu den realen Wissenschaften. Wer für die Mathematik keine Beanlagung besitzt, soll dem Studium des Bau-Ingenieurwesens lieber fernbleiben. Das Talent, nicht das hochgespannte Wissen in den realen Fächern wird für die Zu lassung zum Studium dieser technischen Wissen schaft zu fordern sein. Wo die Beanlagung fehlt, nützt aufgewendeter Fleifs nur sehr wenig. Das Examen wird zwar noch bestanden, aber die Aus- werthung der bezüglich erlernten Hülfswissen- schäften unterbleibt im Beruf hernach doch gänzlich. Was die technische Hochschule ferner nicht zu geben vermag, aber im Leben gebraucht wird, ist die Kenntnifs lebender fremder Sprachen. Es ist dabei keineswegs nothwendig, dafs Jeder fertig das Französische und Englische spricht; es ge nügt vollkommen, wenn manche Vertreter des Berufs die eine, andere die andere oder zwei lebende Sprachen wirklich beherrschen und dafs dabei keine der lebenden Sprachen von Bedeutung gänzliche Vernachlässigung findet. An die Vertreter des Schulwesens richten wir also die Bitte, dem facultativen Unterricht in den lebenden Sprachen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In dieser Beziehung hat uns Japan zum Beispiel schon überflügelt. * * * Bevor wir uns nun mit der Frage beschäftigen, wie bei uns das Bau-Ingenieurwesen gefördert werden kann, sei hier der französischen Verhältnisse gedacht. Die höheren Stellungen der Verwaltung, welche in Deutschland meistens durch Juristen besetzt