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Oclober 1892. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 20. 919 Ueber die Aussichten für bessere Kokspreise brauche ich mich in Ihrem Blatte wohl kaum näher auszulassen; sie liegen Ihren Lesern zu klar vor Augen. Es wird sehr bald der Punkt eintreten, wo die Kohlendestillationen das Schicksal mit vielen anderen Industrieen theilen, dafs sie um der Selbst kosten und, im günstigsten Falle, um geringer Verzinsung willen weiter arbeiten, um ein hohes, einmal hineingestecktes Anlagekapital nicht ganz zu verlieren. Wir sind heute ja noch lange nicht auf diesem Standpunkte angelangt und werden, wenn Mafs und Ziel gehalten wird, noch einige Zeit auf gute Resultate rechnen können; aber Deutschland verträgt nicht die Nebenproduct- gawinnung aus noch 2000 Koksöfen mehr, oder es hat eine verkümmerte Industrie mehr. Berg- und Hüttenwerken kann ich nur empfehlen, die Frage der Dampferzeugung mittels Koksofenabgasen mehr in Betracht zu ziehen und sich nicht verlocken zu lassen, die ungünstigere und schwierigere Nebenproductgewinnung wegen heute vielleicht noch in Aussicht stehender hoher Gewinne als alleinseligmachende Kapitalanlage an zusehen, der Rückschlag würde um so unver meidlicher und härter sein. —r. Bedürfnisse des Bau-Ingenieurwesens. Der V. internationale Congrefs für Binnen schiffahrt, welcher im Juli d. J. in Paris tagte, bot unter Anderem auch die Gelegenheit, einen Vergleich zwischen den Verhältnissen Frankreichs und Deutschlands hinsichtlich des Bau-Ingenieur- wesens zu ziehen. Hiernach erscheint die För derung dieses Zweiges der Technik in Frankreich gesicherter zu sein als bei uns; es sei denn, dafs man daheim erkennt, wodurch das Bau- Ingenieurwesen bei uns bisher erstarkte, und sich bemüht, gesunde Grundlagen für die Entwicklung desselben zu erhalten bezw. zu schaffen. Der Bau-Ingenieur erbaut die Eisenbahnen, Wege, Brücken, Kanäle, Deiche, führt Wasser bauten aller Art aus, beschäftigt sich mit Trag- constructionen und widmet sich dem Studium aller Kraftwirkungen, soweit sie für die Technik Bedeutung haben. Das Wissen des Bau-Ingenieurs umfafst alle der Aufsenwelt abgelauschten em pirisch-technischen Erfahrungen und die mathe matisch-mechanischen Schlufsfolgerungen über die Beziehungen der Kräfte untereinander, welche Erkenntnisse philosophischer Art sind. Seit bei uns eine Verstaatlichung der Eisen bahnen erfolgt ist und man erkannt hat, dafs es im Interesse der Gemeinden liegt, öffentliche Bauten nicht durch Privatgesellschaften errichten zu lassen, sondern die Gemeinde zur Eigen- thümerin derselben zu machen, sind alle tech nischen Vertreter des Bau-Ingenieurwesens Beamte geworden; als wirthschaftliche Vertreter des Bau- Ingenieurwesens sind hingegen die Verwaltungs organe von Staat und Gemeinde anzusehen, deren Vertreter meist Nichttechniker sind. Es ist hier durch das Bau - Ingenieurwesen in eine Ab hängigkeit von Nichttechnikern gerathen, welche für dasselbe verhängnifsvoll werden kann, wenn es nicht gelingt, diese Organe für die Bedürfnisse des Bau-Ingenieurwesens ausreichend zu inter- essiren. Thatsächlich bestehen schon jetzt krankhafte Verhältnisse, welche die gesunde Entwicklung des Bau - Ingenieurwesens in einer Weise hemmen, dafs daraus für Staat und Gemeinde grofse wirth schaftliche Schäden entstehen werden. Die un günstigen Verhältnisse sind folgender Art. Die Nichttechniker, von welchen das Bau- Ingenieurwesen abhängig ist, zeigen im allgemeinen zu wenig Neigung, die Bedürfnisse der Technik zu studiren, ihre Entschliefsungen gründen sich auf eine nur einseitige Kenntnifs vorhandener Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse der Ver treter des Bau-Ingenieurwesens. Die Techniker legen dahingegen zu wenig Werth auf die wirthschaftlichen Fragen und unter scheiden zu wenig die Bedürfnisse der Verwaltung von denen des Bauwesens. Unter diesen Um ständen erwarben sich die Techniker in der Ver waltung nicht diejenige Stellung, welche ihrer weitgehenden Ausbildung entsprach. Es entstand ein Kampf zwischen den technischen und nicht technischen Beamten der Verwaltungen, welcher naturgemäfs fortbeslehen wird, bis aus tech nischen Kreisen gute Verwaltungsbeamte geworden sind oder bis die zur Zeit nicht technisch ge bildeten Beamten-Gaitungen der Verwaltung eine den höheren Anforderungen entsprechend bessere Vorbildung gewonnen haben, so dafs dieselben befähigt werden, auch in technischen Dingen eine klare Uebersicht zu gewinnen. Ob wir nun auf dem einen oder andern Wege zum Ziele gelangen, ist zwar für die zur Zeit im Dienst befindlichen Beamten und die Gegenwart von Bedeutung. Für die fernere Zukunft ist aber nur das Ziel selbst von hoher Wichtigkeit. Es ist anzustreben, dafs die Beamten, welche jenes grofse, in den öffentlichen Bauten angelegte Eigenthum von Staat und Gemeinde verwalten, eine ihren Aufgaben entsprechende Vorbildung empfangen.