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1. October 1900. Wo liegt die untere Grenze des kritischen Punktes A2 ? Stahl und Eisen. 989 einheit entwickelte Wärmemenge klein genug ge worden ist, dann werden die verzögernden und beschleunigenden Ursachen in ihrer Wirkung sich gegenseitig aufheben, d. h. die Abkühlung hat scheinbar ihren normalen Verlauf wieder an genommen, während in Wirklichkeit noch weiter Wärme frei wird, die Transformation also noch andauert. Alle Abkühlungscurven müssen dem nach die untere Grenze der Transformationen zu hoch anzeigen. Zu diesen im Wesen des Phänomens be gründeten und daher unvermeidlichen Schwierig keiten treten dann noch die Unvollkommenheiten der Untersuchungsmethoden hinzu. Wenn die aufeinanderfolgenden Temperaturen beobachtet werden, schleichen sich Fehler ein in die exacte Bestimmung der den Temperaturen coordinirten Zeitpunkte. Das von Roberts-Austen ein geführte photographische Verfahren hingegen ent behrt der genügenden Empfindlichkeit. Nach allem ist es nicht zu verwundern, wenn sich neuerdings die bisherige Annahme über die untere Grenze des kritischen Punktes Arg als irr- thümlich erwiesen hat. Die Untersuchungen, welche dies aufgeklärt haben, beziehen sich einer seits auf die magnetische Transformation des Eisens, andererseits auf die Härtung von weichem Stahl; schliefslich dürfen aber auch die von Roberts-Austen bei der Abkühlungs methode eingeführten Verbesserungen nicht un erwähnt bleiben. Alle drei Punkte werden von Osmond in der angeführten Reihenfolge näher betrachtet. Bekanntlich geht Eisen, wenn es genügend hoch erhitzt wird, aus dem ferro-magnetischen in den paramagnetischen* Zustand über, und zwar tritt diese Transformation bei einer nur wenig variirenden Temperatur ein und ist um kehrbar. Sie gehört ferner mit dem kritischen Punkte Ag zu einer und derselben physikalischen Erscheinung. Wenn wir also die untere Grenze des Punktes Arg** genau bestimmen wollen, so brauchen wir, scheint es, während der Abkühlung nur die Temperatur, bei welcher der Magnetismus seinen maximalen Werth annimmt, genau zu be obachten. Aber es scheint nur so. In Wirk lichkeit ist das Problem nicht so einfach. Um die Gründe dafür aufzuklären, zieht Osmond einen Vergleich aus der Chemie heran. Werden Natronlauge und Salzsäure in beliebigem Ver- hältnifs gemischt, so gehen dieselben eine chemische Verbindung ein, während der Ueberschufs ent weder der Base oder der Säure frei bleibt. Die * Osmond bezeichnet den Zustand des hoch erhitzten Eisens irrthümlich als diamagnetisch. ** Die kritischen Punkte treten bei der Erhitzung und bei der Abkühlung nicht bei gleichen Tempera turen auf. Zur Unterscheidung wird daher, wenn der Punkt der Abkühlung gemeint ist, der Index r zu der Bezeichnung hinzugesetzt. Menge des gebildeten Kochsalzes giebt uns dann ein Mafs für den vorhanden gewesenen Betrag der Gomponente, die im Verhältnifs zur andern in geringerer Quantität aufgewandt worden ist. Aehnlich verhält es sich, wenn ein Eisen stab in ein Solenoid eingeschoben wird und das Feld zu schwach ist, um das Eisen magnetisch zu sättigen. Es sind dann nicht alle Molecüle polarisirt, und die magnetische Intensität mifst dann nicht etwa die maximale Susceptibilität des Metalls, sondern lediglich die Stärke des mag- netisirenden Stromes. Ist letzterer aber stärker als zur Sättigung erforderlich, so sind alle polari- sirbaren Molecüle polarisirt, und dann, aber auch nur dann, giebt die magnetische Intensität uns ein Mafs für die Menge des in der Eisenprobe vorhandenen polarisirbaren Eisens, d. h. für die Menge des a-Eisens. Der angezogene Vergleich ist aber nur ein oberflächlicher. Während Natron lauge und Salzsäure mit Aequivalentgewichten in chemische Verbindung treten, wächst beim Eisen die Induction mit wachsender Feldstärke nach einem complexen Gesetz: a-Eisen stellt, selbst wenn es rein ist, der Polarisirung einen Wider stand entgegen, dessen Ursache uns unbekannt ist und nicht nothwendigerweise Reibung sein mufs. Ewing z. B. hat eine sehr bestechende, auf die intermolecularen magnetischen Kräfte ge gründete Theorie aufgestellt, welche die magneti schen Erscheinungen, speciell für das Eisen, sehr gut zu erklären vermag. Für unseren augen blicklichen Zweck ist aber eine bestimmte Vor stellung über den Widerstand des a-Eisens gegen die magnetische Polarisation überhaupt unnöthig. Es genügt, zu wissen, dafs ein solcher Widerstand thatsächlich vorhanden ist. In dem Temperatur intervall, in welchem d ie m agnetische Transformation eintritt, ist nun aber das Eisen eine Mischung von a-Eisen und ß-Eisen, wobei «-Eisen den po larisirbaren und ß-Eisen den unpolarisirbaren Zu stand des Eisens bedeutet. Ob das Wesen der Transformation von a-Eisen in ß-Eisen, wie Ewing annimmt, in dem Uebergang von einer hin- und herschwingenden in eine rotirende Bewegung der Molecüle besteht, oder aber, wie Fleming glaubt, durch eine Spaltung des aus vier Atomen be stehenden Molecüls in zwei Molecüle von je zwei Atomen erklärt wird, brauchen wir nicht weiter zu erörtern. Jedenfalls mufs die Anwesenheit des ß-Eisens eine doppelte Wirkung ausüben. Das ß-Eisen mufs genau entsprechend der vorhandenen Menge die maximale Susceptibilität herabsetzen und ferner dem Eigenwiderstände des «-Eisens gegen die Polarisirung einen neuen, unter Um ständen beträchtlichen Widerstand hinzufügen. Aus den vorstehenden Betrachtungen folgt, dafs, wenn wir mit Hülfe des maximalen magne tischen Moments die Temperatur zu bestimmen wünschen, bei welcher ß-Eisen während der Ab kühlung vollständig verschwindet oder bei der