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ANNEROSE SCHMIDT Annerose Schmidt studierte nach langjähriger Ausbildung bei ihrem Vater an der Leipziger Musikhochschule bei Hugo Steurer und bestand nach drei Jahren 1957 das Staatsexamen mit besonderer Auszeichnung. Sie ist Preisträgerin des '/.Internationalen Chopin-Wettbewerbes 1955, 1. Preisträgerin des Pianistenwettbewerbes Leipzig 1955 und 1. Preis trägerin im Internationalen Schumann-Wettbewerb Berlin 1956. 1961 er hielt die Pianistin den Kunstpreis, 1965 den Nationalpreis der DDR. Kon zertreisen führten die prominente Künstlerin in sämtliche Musikzentren Europas, des Nahen Ostens sowie Japans. Sie produzierte zahlreiche Schallplatten (u. a. mit der Dresdner Philharmonie sämtliche Mozart- Konzerte sowie Klavierkonzerte von Brahms, Grieg und Weber) sowie Aufnahmen für Rundfunk und Fernsehen. PAUL DESSAU BACH-VARIATIONEN Paul Dessau, einer der bedeutendsten Komponisten der Deutschen Demo kratischen Republik und mehrfacher Nationalpreisträger, verstarb am 28. Juni 1979. Sein umfangreiches Werk, das vom Massenlied über Film- und Bühnenmusik bis zur Sinfonik, Kammermusik und Oper alle musikali schen Genres umfaßt, fand international hohe Anerkennung. Der 1894 in Hamburg geborene Komponist, Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR, genoß auch als Pädagoge einen bedeutenden Ruf. Eine der wesentlichsten Schöpfungen Paul Dessaus sind die im Frühjahr 1963 zum 400jährigen Bestehen der MecklenburgischejjStaatskapelle^dnwerin komponierten Bach-Variationen für großes Orchi^HJ, die am 9.^^B 1963 unter Klaus Tennstedt erfolgreich uraufgeführt wurden. Der Komponist schrieb über sein Werk: „Lange Jahre zögerte ich, den .Bauerntanz' von Carl Philipp Emanuel Bach zum Thema eines Variationswerkes zu verarbeiten. Das hatte be sonders darin seinen Grund, weil dieses Stück schon ohne Veränderungen eine Kompliziertheit darbot, die einer Bearbeitung (denn darum geht es schließlich bei Variationen) meines Erachtens im Wege stand. Das aus Viertel- und Achtelnoten bestehende Thema wird gleich durch Halbe- und Viertelnoten (also durch doppelte Werte) begleitet. Im fünften Takt be reits tritt als dritte Stimme der Hauptgedanke in der Umkehrung auf, was soviel besagt: Aufsteigende Linien werden abwärts geführt und um gekehrt. Im zweiten Abschnitt des .Bauerntanzes' beginnt Philipp Emanuel mit der zweiten Hälfte von Teil I, jedoch mit vertauschten Stimmen (d. h. die obere wird zur unteren) und bringt die ersten vier Takte von Teil I als Schlußperiode von Teil II. Der dritte Teil des Tanzes ist eine Wiederholung des ersten. Somit finden wir eine äußerst komplizierte Form von Drei- teiligkeit vor (a — b — a), die, wie gesagt, für die Variationsform durch die von Philipp Emanuel vorweggenommenen Kunstmittel schwer geeignet ist. Ich begrüßte aber den Antrag des Mecklenburgischen Staatstheaters um so mehr, als mich die lange geplante Arbeit, Variationen über dieses Thema zu schreiben, vor eine große Kraftprobe stellte, zu der ich mich lange Zeit nicht für fähig hielt. Da es sich um ein Geburtstagsgeschenk handelte, mußte ich dafür sorgen, daß jeder Instrumentalist möglichst gebührend^^^.Vorte komna^^o er hielt der erste Konzertmeister diverse größere u^^Feinere Soli^^^Holz- blas- wie die Blechinstrumente müssen zeigen, was man zu leisten im stande ist; nicht zu vergessen das Schlagzeug, das bekanntlich oft das Rückgrat eines Musikstückes ist. Selbstverständlich hat auch der gesamte Streichkörper sein Scherflein zum Ganzen wesentlich beizutragen. Ich kann aber auch Sie, meine lieben Hörer, nicht aus dem Arbeitsprozeß aus schließen, denn von Ihnen und Ihrem produktiven Mithören hängt meine Arbeit und ihr Erfolg ab. Nun ist bislang nur von einem Thema, dem .Bauerntanz' des zweiten Sohnes des großen Johann Sebastian Bach ge sprochen worden. Es gibt da aber noch ein zweites. Das zweite stammt vom Vater, Johann Sebastian selbst, und zwar handelt es sich um eine kleine Musette, eine aus dem Französischen kommende dudelsackähn liche Tanzweise, die Sie im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach finden können. Ich denke, daß Sie mit mir übereinstimmen werden, daß sich beide Themata gut zusammen ausnehmen. Zu den Variationen schrieb ich eine kurze Einleitung. In ihr wird das Ton symbol B — A - C — H verarbeitet. Am Schluß der Einleitung treten Ele mente auf, die erst später zur Verarbeitung herangezogen werden. So spielen die fün Anfangsnoten (Quintoie) eine Rolle in der vierten Varia tion. Die erste ist eine .pizzikato'-Variation (gezupfte Noten), die aus den Intervallen des .Bauerntanzes' gewonnen wurde, und die dann mit einem markanten Paukenrhythmus in die zweite überleitet. In ihr werden Inter valle aU-Sgetauscht, diej/on den Flöten zu den Fagotten wandern, und die von d^feefen Streic'^Ä unterstützt werden. Im Gegensatz zu dem kom- pliziei^w Thema ist We Variation sehr einfach. Variation zwei ist ein kleiner Marsch, in der erstmalig die Musette als zweites Thema verarbeitet wird. Die erste Trompete in F-Dur, Posaune und Tuba in G-Dur intonieren lustig zum Es-Dur der Variation. Das Ganze ist eine Bläservariation mit Begleitung von etwas Schlagzeug. Die vierte Variation bringt nun in den Streichern das anfänglich intonierte Quintoienmotiv zu den charakteristi schen Intervallen (Quart-Quint) des .Bauerntanzes'. Gegen Schluß dieser Variation steht das erste längere Violinsolo, welches beide Themata be reits verarbeitet. Die darauffolgende fünfte Variation stellt nun erst eigentlich das ,Musette‘-Thema vor. Hier löst sich die Solovioline mit der Flöte ab, während das Hauptthema (.Bauerntanz') in Horn und Posaune kontrapunktiert wird. Es handelt sich hier um eine äußerst durchsichtige, fein ziselierte Arbeit, die die Chromatik J. S. Bachs ausnutzt. Die an schließende sechste Variation ist die erste im Tempo ruhige. Sie über nimmt von der .Musette' die vier Sechzehntel als Begleitfigur einer lang ausgewobenen Melodie, die dem diatonischen Element des ,Bauern tanzes’ abgewonnen wurde. Die siebente Variation ist eine Rumba (ein auf Kuba gepflegter Tanz). Von den acht Achteln werden das vierte und siebente betont. Die interessante Vorlage schuf der junge Berliner Kom ponist Friedrich Goldmann, während die neunte Variation auf eine Idee meines Freundes Rudolf Wagner-Regeny zurückzuführen ist, der das Philipp-Emanue -Thema mit seinen in sich verkehrten (umgedrehten) Inter vallen zu einer wunderbaren Melodie verarbeitet hat. Die zehnte Varia tion ist eine Alt .stretta', eine gedrängte Schlußpassage, die überleitet zur letzten (elften) Variation, einer Apotheose, einer Verherrlichung von Vater Sohn gleic'gÄnmend. (Daß am Schluß Motive der ersten Trio- sonat^^P Orgel des^^Fann Sebastian Bach eingearbeitet wurden, sei nur am Rande erwähnt.) So erhält das Werk einen festlichen Abschluß." LUDWIG VAN BEETHOVEN KLAVIERKONZERT NR. 4 G-DUR OP. 58 Wie Ludwig van Beethoven in der Reihe seiner Sinfonien zwischen Wer ken kraftvoll-männlichen und anderen mehr lyrisch-weiblichen Charakters abwechselte, steht auch sein 4. Klavierkonzert G-Dur op. 58 ein wenig träumerisch zwischen dem heroischen c-Moll- und dem grandiosen Es- Dur-Konzert. Erstmalig aufgeführt wurde dieses Werk, von Beethoven selbst gespielt, im März 1807 bei einer seiner Akademien im Palais Lob- kowitz in Wien. Der bekannte Liederkomponist und Musikschriftsteller Jo hann Friedrich Reichardt, der das Konzert bei einer Wiederholung im Dezember des folgenden Jahres zusammen mit zahlreichen anderen Kom positionen Beethovens hörte, berichtete darübei: „Das achte Stück war ein neues Pianofortekonzert von ungeheurer Schwierigkeit, welches Beet hoven zum Erstaunen brav in den allerschnellsten Tempis ausführte. Das Adagio, ein Meistersatz von schönem durchgeführtem Gesang, sang er wahrhaft auf seinem Instrumente mit tiefem melancholischem Gefühl, das auch mich dabei durchströmte.'' In der Tat ist im G-Dur-Konzert die Form des Solokonzertes mit Orchester in ganz idealer Weise gemeistert. Der Solist, dessen virtuos-pianistische Forderungen nie außer acht gelassen, aber geistvoll als organischer Be standteil des Werkes eingesetzt werden, und das Orchester sind hier durchaus selbständige und doch motivisch-thematisch aufs genialste mit einander verknüpfte Partner. Sie dienen gemeinsam der sinfonischen Idee, die die drei kontrastierenden Sätze des Werkes zu einer entwicklungs mäßigen Einheit verbindet, so daß man hier, wie auch beim Es-Dur-Kon- zert, mit vollem Recht von einer „Klaviersinfonie" sprechen kann. Als Kernstück des Konzertes, in dessen Grundhaltung die lyrisch-idyllischen Züge dominieren, ist der dialogisierende Mittelsatz mit seinem poetischen Gegenspiel von Klavier und Orchester anzusehen. Der erste Satz (Allegro moderato) bringt zu Beginn, solistisch vorgetragen, das zarte, weiche G-Dur-Hauptthema dessen motivische Beziehung zu dem berühmten „Schicksalsmotiv" der 5. Sinfonie häufig aufgezeigt wurde. Auf der Dominante endend, erfährt das Thema durch einen plötzlichen Wechsel nach H-Dur eine neue Beleuchtung. Nach einer Weiterentwick lung im Tutti erklingt zuerst in den Violinen das stolze, signalartige zweite Thema. Mit diesen Hauptgedanken, die jedoch durch mannigfache neue Seitengedanken bereichert, vom Klavier in ausdrucksvollen Akkordfigura tionen umspielt und immer wieder abgewandelt werden, entsteht nun ein wundervolles, von größtem Empfindungsreichtum zeugendes Zusammen wirken von Soloinstrument und Orchester, da: nach der großen Kadenz rauschend-schwungvoll beendet wird. Höchste poetische Wirkungen erreicht der ergreifende langsame Satz (Andante con moto). Einer Überlieferung zufolge soll er von der Orpheus- sage inspiriert sein und die Bezwingung der finsteren Mächte der Unter welt durch die Macht seelenvollen Gesanges zum Inhalt haben. In leiden schaftlichem Dialog zwischen Klavier und Orchester erfolgt, charakterisiert durch zwei äußerst gegensätzliche Themen, ein düster-drohendes und ein innig-flehendes, diese entscheidende Auseinandersetzung zweier Prinzi pien. Der sich unmittelbar anschließende Schlußsatz, ein Rondo, zeigt danach nun in seiner Gestaltung stürmische Lebensfreude, heitere Glücks empfindungen. Phantasievolle Kombinationen des tänzerischen Rondo- Themas und eines lyrischen, schwärmerischer Seitenthemas münden in einen glanzvollen Abschluß des Konzertes.