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572 Nr. 7. „STAHL UNI) EISEN.“ Juli 1891. geringen Kosten für die Beitragsmarken der In- validitäts- und Altersversicherung vom Anfang des laufenden Jahres ab hinzugetreten sind. Zwei Aenderungen in der Unfallversicherung werden hoffentlich schon im nächsten Winter durch die dem Reichstage noch vorliegende Krankenkassennovelle vorgenommen werden. Die eine betrifft die Verstärkung des Einflusses der Berufsgenossenschaften auf das Heilverfahren der vom Unfall betroffenen Arbeiter. Gemäfs dem Gesetze mufs für die ersten dreizehn Wochen nach dem Eintritt des Unfalls die Krankenkasse aufkommen; sie hat dafür das Recht, ganz allein die Anordnungen über das einzuschlagende Heilverfahren zu treffen. Nun ist es aber auch ohne längere Beweisführung klar, dafs die Interessen beider Versicherungs organe bei dem Heilverfahren nicht identisch sind. Die Krankenkasse weifs, dafs nach Ver lauf von dreizehn Wochen der Unfallbetroffene von der Berufsgenossenschaft übernommen wer den mufs, gleichviel ob er ausgeheilt ist oder nicht, bezw. ob er' gut oder schlecht geheilt ist. Der Berufsgenossenschaft dagegen liegt nicht blofs daran, dafs der Unfallbetroffene schnell, sondern auch, dafs er mit dem gröfstmöglichen Mafse von Erwerbsfähigkeit wieder hergestellt wird. Namentlich bei schweren Unfällen, welche von vornherein eine länger alz dreizehnwöchige Dauer in Aussicht stellen, wird sich diese Interessen verschiedenheit , um nicht zu sagen Interessen gegensatz, bemerkbar machen. Nunmehr sollen die Berufsgenossenschaften von einem bestimm ten Termin innerhalb der ersten dreizehn Wochen an das Recht erhalten, das Heilverfahren selbst in die Hand zu nehmen. Die Ansprüche, die der Unfallbetroffene bisher an die Krankenkasse zu stellen berechtigt ist, mufs von da an die Berufsgenossenschaft befriedigen, dagegen geht der Anspruch des Erkrankten auf Krankengeld auf die Berufsgenossenschaft über. Den Berufs genossenschaften werden dadurch ja mehr Kosten für das Heilverfahren erwachsen als bisher, dafür werden sie aber viel mehr an Renten sparen. Eine andere Neuerung soll zur Gontrole der in den Berufsgenossenschaften vereinigten Arbeit geber eingeführt werden. Es soll nämlich be stimmt werden, dafs die Krankenkassen ver pflichtet sind, ihre Bücher und Listen Beauftragten der Berufsgenossenschaften behufs Ermittlung der Anzahl der beschäftigten Arbeiter, sowie deren Beschäftigungszeit und Lohnhöhe, zur Ein sichtnahme vorzulegen. Man könnte eigentlich hiergegen einwenden, dafs es ein ungerechtfertigtes Mifstrauen gegen die Arbeitgeber bedeutet, sie einer zweimaligen Gontrole hinsichtlich der An gabe über Versichertenzahl, Beschäftigungzeit und Lohnhöhe zu unterstellen, da ja schon durch das Unfallversicherungsgesetz den Berufsgenossen schaftsbeauftragten das Recht eingeräumt ist, die Bücher der Arbeitgeber zu diesem Behufe ein* zusehen. Jedoch mag das neue Verfahren insofern eine Vereinfachung der Geschäftsführung dar stellen, als dadurch die Gontrole an einem Punkte statt an den verschiedenen Stellen bei den ein zelnen Arbeitgebern möglich wird, und von die sem Standpunkte aus wird sich dagegen nicht viel einwenden lassen. So lobenswerth nun namentlich die erstere der durch die Krankenkassennovelle an der Unfallversicherung vorzunehmenden Aenderungen ist und so sehr sie sich auch geeignet zeigt, wenigstens in etwas die den Arbeitgebern aus der Unfallversicherung entstehenden Kosten zu ermäfsigen, ohne den Arbeitern irgend welchen Schaden zuzufügen, so wird man sich doch mit ihnen nicht begnügen dürfen. Man will es auch nicht, jedoch hat man die meisten Reform absichten auf Gebiete gelenkt, welche die Arbeit geber nicht gar zu sehr interessiren und es dürfte angezeigt sein, hier einmal einen Uebelstand zur Sprache zu bringen, der unbedingt eine Remedur erheischt. Die deutsche Unfallversicherung ist bekannt lich die erste, welche staatlicherseits eingerichtet wurde. Sie hat keine Einrichtungen anderer Länder zum Vorbild nehmen können, mufste vielmehr von Grund auf neu geschaffen werden. Andere Staaten hatten es in dieser Beziehung leichter und besser. So beispielsweise Oesterreich und Italien, welche beide gleichfalls zur Ein führung der staatlichen Unfallversicherung gelangt sind. Sie lehnten sich an das deutsche Beispiel und entnahmen demselben Alles, was ihnen gut dünkte, vermieden aber die in Deutschland ge machten Fehler. Zu diesen letzteren mufs nun die Bestimmung unserer Unfallversicherungsgesetze gerechnet werden, wonach die Arbeitgeber allein die Beiträge aufzubringen haben und die Arbeiter nicht im geringsten daran betheiligt sind. Oester reich sowohl wie Italien haben diesen Fehler vermieden, indem sie die Arbeiter mit wenn auch einem ganz kleinen Procentsatz an der Aufbringung der Kosten betheiligten. Es hat das namentlich betreffs der Simulation einen sehr grofsen Werth, da die Arbeiter, wenn sie am eigenen Geldbeutel die Kostenhöhe spüren, ihre Genossen natürlich weit schärfer controliren. Glücklicherweise wirkt in dieser Beziehung bei uns wenigstens der Umstand etwas ausgleichend, dafs die Arbeiter für die ersten dreizehn Wochen auch bei den Unfällen mit eintreten müssen. Trotz dem wäre es aber besser gewesen, sie auch weiter an der Aufbringung der Kosten zu betheiligen. Jedoch das läfst sich nunmehr nicht ändern, weil es unmöglich sein dürfte, den Arbeitern allgemein eine Wohlthat zu beschneiden, welche man ihnen einmal gewährt hat. Dafür wird man aber um so schärfer zu prüfen haben, ob es berechtigt war, allen vom Unfall be-