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gethätigte deutsch - österreichische Handelsvertrag zu verzeichnen. Bisher sind über den Inhalt des letzteren nur Vermuthungen und Gerüchte aus gesprochen worden, Positives ist dagegen nicht bekannt geworden. Bis letzteres der Fall, halten wir naturgemäfs mit unserem Urtheil zurück. Von einschneidender Bedeutung war der neue amerikanische Zolltarif vom 6. October 1890 (Mc. Kinley Tarif Bill), mit welchem zugleich die Mc. Kinley Administrative Bill ins Leben trat. Eine Fortsetzung fand diese auf die Ver wirklichung des panamerikanischen Gedankens abzielende Gesetzgebung in dem Zollvertrage der Ver. Staaten mit Brasilien, in welchem Nord amerika Brasilien gegenüber die im Mc. Kinley- Tarifgesetz ausgesprochene Zollfreiheit für Zucker, Kaffee und Häute bindet, Brasilien dagegen den Ver. Staaten für eine grofse Anzahl wichtiger Artikel theils Zollfreiheit, theils eine Ermäfsigung der allgemeinen Zölle um 25% zusichert. In einer Eingabe an das Auswärtige Amt haben wir dargelegt, dafs durch diese Mafsregel der Wett bewerb in Brasilien den Ver. Staaten gegenüber für Deutschlands Eisen- und Stahlindustrie, spe- ciell für die Draht- und Drahtstiftenbranche, auf das äufserste gefährdet ist, und gebeten, das Auswärtige Amt möge auf diplomatischem Wege die Interessen der deutschen Industrie in Brasi lien zu wahren, sowie auf thunlichst baldigen Abschlufs eines Meistbegünstigungsvertrages mit diesem Lande hinzuwirken suchen. Mit Belgien, Italien, Spanien, Rumänien, Serbien und der Schweiz schweben neue Handels vertragsverhandlungen. Die Wünsche unserer Mitglieder nach dieser Richtung haben wir in einer besonderen Enquete festgestellt. Betreffs der Colonialpolitik sind wir in die Periode ruhiger und nüchterner Arbeit ein getreten. Bei den diesbezüglichen Reichstagsver handlungen zeigte sich der Reichskanzler v. Caprivi aufs neue als einen sehr kühlen, fast skeptischen Colonialpolitiker, und seine zurückhaltenden kri tischen Ausführungen fanden mitunter auf der Linken mehr Beifall als bei den Colonialfreunden. Er stellte sich aber doch entschieden auf den Standpunkt, dafs das einmal Errungene festge halten und das begonnene Werk in ruhiger, vor sichtiger Prüfung fortgesetzt werden müsse, schon der deutschen Ehre und dem deutschen Namen zuliebe. Letzteres ist auch unsere Ansicht; denn wir haben, wie wir bereits wiederholt her vorgehoben haben, unsere Ansicht von der Nütz lichkeit der Colonialpolitik überhaupt nicht deshalb ändern können, weil von vielen Seiten die unmittel baren Erfolge derselben vermifst werden. Schätzt doch selbst die Freisinnspresse in den deutschen Seestädten im Gegensatz zu ihren politischen Gesin nungsgenossen im Binnenlande den Werth unseres Colonialbesitzes sehr hoch, wie sie sich denn auch vermöge ihres gröfseren Verständnisses für solche Fragen betreffs der subventionirten Dampferlinien einen weit ungetrübteren Blick bewahrt hat. Bezüglich des Ausstellungswesens haben wir uns den Projecten einer Weltausstellung in Chicago und einer deutsch-nationalen bezw. inter nationalen Ausstellung in Berlin gegenüber in sofern ablehnend verhalten, als wir eine etwaige Betheiligung lediglich in das eigene Ermessen unserer Mitglieder stellen zu sollen vermeinten. Die Gründe hierfür haben wir des Oefteren so eingehend dargelegt, dafs wir hier auf die selben nicht zurückkommen wollen. Von dem Werthe wohlüberlegter und sich vor Allem nicht in einem zu raschen Tempo folgender Provinzialausstellungen sind wir vor wie nach überzeugt und haben in diesem Sinne die guten Ergebnisse der im Sommer 1890 zu Bremen veranstalteten Ausstellung, die zudem durch eine in solcher Vollkommenheit noch nicht vorhanden gewesene Handelsausstellung ein ganz besonderes Interesse darbot, mit Freuden begrüfst. Wenden wir uns nun zum Gebiete des Ver kehrswesens, so liegt im vergangenen Winter ohne Zweifel eine der für das Wirthschaftsleben unserer Nation traurigsten Epochen der preufsi- schen Staatsbahnen vor. Die Geschäftsführung der Gruppe war mit einer Enquete über die wirthschaftlichen Schädigungen, welche die Stockung des Güterverkehrs im Gefolge hatte, beauftragt und hat die Ergebnisse dieser Enquete zu einer eingehenden Darlegung der in Betracht kommenden Verhältnisse auf der XX. General versammlung des »Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen in Rhein land und Westfalen« benutzt, auf die hier, um Wiederholungen zu vermeiden, lediglich Bezug genommen werden kann, wie sie denn auch in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses von mehreren Rednern als Beweismaterial angezogen worden sind. Hier sei nur kurz festgestellt, dafs die eisen- und stahlindustriellen Werke durch den Waggonmangel genöthigt waren, falls sie nicht ganz zum Stillliegen kommen wollten, trotz der vielfach grofsen Vorräthe, die sie angehäuft, Kohlen zu wesentlich höheren Preisen bei Händlern zu kaufen. Durch die Unregelmäfsigkeit der Zu fuhren wurde die Production erheblich geschmä lert, theilweise mufste sie sogar sistirt werden. Selbstverständlich wurden dadurch die Lohnsätze im Verhältnifs zum Ferligfabricat höher. Der Schaden, der dadurch den Unternehmungen er wachsen ist, wird von gröfseren Werken auf 100 000 bis 250 000 •6 angegeben. Die Lohn ausfälle für die Arbeiter, welche wegen Kohlen mangels ganze Schichten feiern mufsten, waren ganz aufserordentliche. Unsere Enquete ergiebt beispielsweise, dafs sich der Lohnausfall für die Arbeiter auf einem Hochofenwerke auf 50 000 6, bei einer Hütte auf 29 313 bei einer andern VII.il 2