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532 Nr. 7. «STAHL UND EISEN.“ Juli 1889. als völlig verloren angesehen werden mufs; denn Herr A. Eschenbach hat offenbar von dem, was jeder einigermafsen Kundige von rheinisch-west fälischen Einrichtungen weifs, nichts gesehen. Aber in gewissen Kreisen scheint dieses Sehen auch nicht eine unerläfsliche Vorbedingung dafür zu sein, um über die Verhältnisse zu schreiben und anderen »Belehrung« zu theil werden zu lassen. „Mehr denn 100000 arbeitskräftige Männer“, so lesen wir auf S. 12, „liefsen plötzlich die schwie ligen Hände sinken, legten Hammer und Hacke beiseite und erklärten, eher in Ruhe und unter Beobachtung von Recht und Gesetz der Noth und dem bittersten Elend ins Auge zu sehen, ja selbst Weib und Kind dem Hunger preisgeben zu wollen, als bis nicht ihre Forderungen erfüllt seien.“ Dafs die ausständigen Bergarbeiter contract- brüchig geworden und auch von Sr. Majestät dem Kaiser darauf hingewiesen worden sind, dafs sie sich »ins Unrecht gesetzt«, davon ist an dieser Stelle der Broschüre mit keinem Worte die Rede; im Gegentheil wird weiterhin hervorgehoben, dafs »fast nie unehrerbietige oder auch nur rohe, geschweige denn noch härtere Ausdrücke gegen die. Grubenverwaltungen gebraucht wurden« und dafs „deshalb aber auch die Arbeitgeber in erster Linie solche Gesittung selbst pflegen sollten“, Dafs der Herr Assessor den Industriellen dies als erste Lehre giebt, mufs ihm wohl verziehen werden; er scheint von Wiesbaden aus die Be obachtung gemacht zu haben, dafs der Arbeit geber in Rheinland und Westfalen sich eines durchweg rohen, »unehrerbietigen« Tones gegen seine Arbeiter befleifsigt und von den letzteren nach dieser Richtung hin noch nicht genug gelernt hat. Wiesbaden ist eben ziemlich weit vom niederrheinisch-westfälischen Bergwerksbezirk ent fernt, und daher ist auch Herr A. Eschenbach nicht in der Lage gewesen, sich über die wirk lichen Verhältnisse zu orientiren. Andernfalls würde er zu wesentlich anderen Ergebnissen ge kommen sein. Was aber das ehrerbietige Auf treten der Arbeiter anbelangt, so würde er auch aus der Zeit des jüngsten Arbeiteraufstandes massenhaft haben Beispiele sammeln können, in welchen sogar die »Pferdejungen« den Vorge setzten in einer denkbar brüsken Weise entgegen getreten sind, die mit Glacehandschuhen zurück zuweisen keine Veranlassung vorlag, wenn man nicht allen Sinn für die Autorität und Ordnung untergraben wollte. — Auf den Contractbruch der Arbeiter kommt Herr Eschenbach erst später zu sprechen und giebt zu, »dafs das Verhältnifs zwischen dem Arbeitgeber und Arbeiter nicht von dem Arbeiter willkürlich jederzeit gelöst werden könne«, aber um in dem Arbeiter das Rechts- und Pflichtgefühl zu wecken, müsse »man ihm selbst nach dieser Richtung mit dem besten Beispiele vorangehen«. Das weifs Herr Eschenbach aus den »Gerichtsverhandlungen über den Contractbruch seitens der Dienstboten, die für diese Bemerkungen tagtäglich ausgiebige Beweise liefern.« Wenn wir in der vorigen Nummer ausgeführt, dafs in dein plötzlichen Ausstand der Arbeiter ein Versuch der Vergewaltigung vorlag, der ohne Noth in Scene gesetzt wurde, da die Arbeiter ganz dasselbe hätten erreichen können, wenn sie die ordnungsmäfsige Kündigungsfrist eingehalten und inzwischen ihre Forderungen mit dem Hin weise, dafs sie bei Nichtgewährung derselben nach 14 Tagen sämmtlich die Arbeit einstellen würden, formulirt hätten, so ist Herr Eschenbach anderer Ansicht, indem er folgendes Schreck bild entwirft: „Wenn in dem vorliegenden Falle, der Arbeits einstellung in den Bergwerken, die Arbeiter ihrer Verpflichtung nachgekommen wären und erst mit 14 tägiger Kündigung die Arbeit niedergelegt hätten, wäre da anzunehmen, dafs sie auch nur ihre Forderungen im allerbescheidensten Umfange be willigt erhalten hätten? Die Antwort kann wohl kaum irgend zweifelhaft sein. Bei dem aufser- ordentlich geringen Entgegenkommen, das die Grubenvorstände von Anfang gezeigt und schroff zur Schau getragen haben, und in welchem auch selbst nach der doch wahrlich an Deutlichkeit nichts zu wünschen lassenden Antwort sogar von Allerhöchster Stelle aus auch jetzt noch zum guten Theile von ihnen beharrt wird (vergl. die Beschlüsse der zweiten Essener Versammlung und die That- sache der Ablehnung von Arbeiter-Vertrauensaus schüssen), — bei der geradezu in einer solchen elementaren Bewegung, die noch dazu nach der allgemeinen Meinung und der socialpolitischen Wissenschaft auf dem vollsten Recht beruht, kaum begreiflichen Hervorhebung des formalistischen Standpunktes und des Selbstgefühls als »Herren«, — bei alledem mufs mit zwingendster Nothwendigkeit sich als Antwort ergeben: Nein, die Bergleute wären zum wahrscheinlich gröfsten Unglück für das gesammte Vaterland durch die Macht der vereinigten Industrieen erdrückt und wohl selbst mit den jetzt zugestandenen Ansprüchen abgewiesen worden. Denn selbstverständlich wäre es der Industrie ein Leichtes gewesen, bei recht zeitigem Erkennen der Gefahr durch Abschlüsse im Auslande sich von der heimischen Kohlenpro- duetion unabhängig zu machen und in den 14 Tagen von der Kündigung bis zur Arbeitseinstel lung wären unter Benutzung der modernen Trans portmittel Einrichtungen getroffen worden, welche jedenfalls auf längere Zeit die Kohlenförderung entbehrlich gemacht hätten, als die Arbeiter den Streik durchführen konnten. Und man kann wohl mit absoluter Sicherheit annehmen, dafs alsdann die Fackel des Aufruhrs in jenen Gegenden einen Zündstoff gefunden haben würde, der vielleicht einen nicht gekannten Brand entfacht und den Bürgerkrieg thatsächlich heraufbeschworen hätte; einen günstigeren Boden hätte sich Anarchie und Socialdemokratie allerdings alsdann kaum wün schen können und während man jetzt seitens der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Arbeiter selbst und auch mancher Führer die Apostel der selben dort mit einer Deutlichkeit abgewiesen hat, wie sie gröfser garnicht gewünscht werden kann, wäre dann ein Gebiet für dieselben erschlossen gewesen, dem sich an günstigem Boden kein