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VI. Der dcutsch-srauz. Krieg u. das neue deutsche Reich. 979 offenen und ehrlichen Kampfes wurden gar bald außer Acht gelassen. Wenn in den ersten Wachen der Krieg den Charakter eines großartigen militärischen Wettstreites behauptete, so ging derselbe mehr und mehr von französischer Teile in einen Volkskrieg über und nahm, Dank der aufreizenden Sprache und den Lügenbcrichlcu der öffentlichen Blätter, eine so feindselige Gestalt an, daß die Grenzlinie zwischen Krieg und Meuchelmord oft sehr verblaßt war. Von der gereizten Stimmung des Volkes gab auch die Ausweisung der Deutschen, die in den französischen Städten sich niedergelassen hatten und friedliche Geschäfte be trieben, ein auffälliges Zeugniß. Alle Leidenschaften, Haß, Neid, Verdacht des Tpionirens, Mißtrauen in ihre Gesinnung vereinigten sich zu Angriffen und zur Verfolgung harmloser deutscher Bewohner, selbst wenn sic natioualisirt waren, den größten Theil ihres Lebens in Frankreich zugebracht hatten und sehr häufig französische Sympathien hegten. Mit dem Einzug des Kronprinzen in Nanzig konnte Lothringen als erobertes Land angesehen werden, wenn auch Metz, Diedenhofen und einige kleinere Grenzscstungen noch in Feindeshand waren. Und daß man preußischer Scits schou jetzt die Erwerbung der früher zum Reiche gehörenden Länder und Städte für Deutschland fest ins Auge faßte, bewies die Einsetzung deutscher Vcrwaltungsbcamteu in den beiden Landschaften Elsaß und Lothringen. Mit staunender Bewunderung blickte die Welt auf die Erfolge der Preußischen Waffen und auf das Zusammenbrecheu der Napoleonischen Herr schaft, welche ganz Europa zwei Jahrzehnte lang durch den Schein von Macht und Größe geblendet hatte. Daß auch den Kaiser selbst eine düstere Ahnung seines Falles beschlich, bewies ein Artikel seiner Amtszeitung vom 8. August, worin neben den Lobpreisungen der französischen Tapferkeit und der zuversicht lichen Hoffnung auf einen heldcmnüthigen Aufschwung der ganzen Nation auch ein Hülferuf an das Ausland unverkennbar verborgen lag. Europa, heißt es darin, sehe mit Unruhe auf die Machtvergrößerung Preußens und alle Regie rungen und Völker müßten in ihrem eigenen Interesse darauf bedacht sein, daß das Gleichgewicht nicht durch eine eroberungssüchtige Nation gestört würde, sie müßten Europa dem preußischen Despotismus entreißen nnd Frankreich unter stützen, sei es durch Allianzen, sei es durch Sympathien. Die Sympathien der neutralen Völker sind den Franzosen während des ganzen Krieges in reichlichstem Maße zu Theil geworden, aber zu Allianzen ließ sich die angcrufcne „Weisheit der Regierungen und Völker" nicht fortreißen. „Es gibt im Leben der Volker feierliche und entscheidende Stunden", lautete der Nap-iims Artikel nach der Augsburger Allg. Zeitung, „in welche Gott ihnen Gelegenheit gibt zu^f/ünd"»«^ zeigen, was sie sind, was sie vermögen. Dieser Augenblick ist für Frankreich gekommen, «land. Man behauptete manchmal, daß die große Nation, unerschrocken im Aufschwung und Erfolge, schwer Unglückssälle ertrug. Was vor uns nun vorgeht, berichtigt diese Verleum dung. Die Haltung der Bevölkerung ist nicht die der Cntmuthiguug ; sie ist die der pa triotischen Wuth und erhaben. Gegen die Eindringlinge in Frankreich, wo sie ihr Grab finden sollen, werden alle Franzosen sich erheben wie ein Mann. Sie denken an ihre 62'