V. Geschichte der Zahre 1865 bis 1870. 933 schließung und die Schule von der kirchlichen Zwingherrschaft zu befreien und unter die Obhut des Staats zu stellen strebte. Nach dein Schlup der erwähnten Minislcrconfercnzen begleitete Graf Dis- marck seinen königlichen Herrn zu der Kunst- und Industrieausstellung in Paris, ^un» Ivo sie bei Hofe und bei dem Volke eine freundliche Aufnahme fanden, sehr ver- schieden von dem Empfange des russischen Kaisers, der ihnen vorangcreist war und mit ihnen zugleich in der französischen Hauptstadt weilte (S. 721). Diese Pa riser Weltausstellung, welche im Laufe des Sommers zahllose Reisende aus ollen Ländern und Ständen, darumcr die mächtigsten Monarchen Europa'- nach drr glänzenden Scincstadt führte und Gelegenheit bot „zu Freud und Festlichkeiten", Ivie sie die Welt nie gesehen, sollte ein neues Band des Friedens und der Vötker- vminigungum die europäische» Nationen umschlingen; und wenn auch französische Heißsporne (Chauvinisten) besonders aus den Militärkreisen noch hie und da in die Kricgstrompete stießen, damit der „Zauber" (Prestige), der bisher in der öffentlichen Meinung auf der französischen Nation gelegen und ihr in den Augen du Völker die Suprematie verliehen, nicht schwinde: das Gefühl, daß der Krieg dem Zeitgciste und der Zeitbildung widerstrebe, daß die Wohlfahrt der euro päischen Völkerfamilie und die Solidarität der gemeinsamen Interessen nur auf dem Wege friedlicher Ausgleichung und Verständigung erzielt werden könne, gewann immer mehr Boden unter den Völkern und wirkte den kriegerischen Auf reizungen entgegen. Die Vereinigung gleichartiger oder verwandter Volks- elemente und Stammesglieder zu größeren Staatseinheiten auf der Basis der Rechtsgleichheit und gemeinsamer Wehrkraft zur Selbstvertheidigung gegen äußere Anfechtungen scheint, so lange die menschlichen Leidenschaften den allgemeinen ewigen Völkerfricden in das Reich der Träume verweisen, das sicherste Mittel, den Frieden zu fördern und zu erhalten, indem sie das Bewußtsein nationaler Kraft und gegenseitiger Achtung erzeugt, daher denn auch dieses Streben nach naturgemäßer Vereinigung des Gleichartigen als der gemeinsame Charakterzug des öffentlichen Lebens am Ende der sechziger Jahre betrachtet werden darf. Wir erkennen die Symptome dieses Strebens in dem bewegten und aufgeregten Staatsleben Italiens, in den Ereignissen, die zu dem voreiligen Einfall der natio nal-liberalen Partei in den Kirchenstaat und der Niederlage bei Mentana führten (S. 923); wir erkennen dieses Bestreben in dem Ausgleichungswerk zwischen dem Königreich Ungarn und den österreichischen Völkern diesseits der Leitha. Wir er kennen vor Allem die Zeichen dieses Strebens in der politischen Thätigkeit der deutschen Nation, durch Verträge und gesetzgeberische Arbeiten dem nationalen Gesammtgefühl Ausdruck zu geben und die künstlich geschaffene Mainlinie wirk ungslos zu machen. Denn nachdem im Laufe des Mai und Juni die mit dem Rerfassungsreichstag vereinbarte Bundesverfassung von den Landtagen der ver schiedenen norddeutschen Einzelstaaten (wenn auch hie und da wie in Preußen unter starker Opposition der Fortschrittsmänner) angenommen und der Bundes-