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V. Geschichte der Jahre 1865 bis 1870. 881 des Abgeordnetenhauses die Erwerbung des für die Kriegsmarine so vorthcil- haftm Seehafens nicht weniger wünschte als die Regierung, so bestand sie doch fest darauf, dem Ministerium Bismarck keinen Credit zu bewilligen, nm ihm keinen Hebel in die Hand zu geben, auch in dem Bcrfassungsconflict die Oppo sition zu bewältigen. Eine Ducllfordcrung des Ministerpräsidenten an den Ab geordneten Virchow zeugte vou der herrschenden Gereiztheit; bei der Schließung der Sitzungen mußte das Haus den Borwurf hören, daß die Mehrheit „das Wohl des Vaterlandes nicht zu ihrem obersten Gesche genommen". Herr v. Bis marck ließ sich indessen durch diese Opposition von seinen Plänen nicht abbringen. Durch die Verlegung der preußischen Flottcnstation von Danzig nach Kiel be wies er thatsächlich, „daß Preußen entschlossen sei, im Besitz dieses Hafens zu bleiben"; und als man in Köln sich anschickte, den Abgeordneten ein großartiges Anerkennungsfcst zu bereiten, als Kehrseite der voransgcgangencn Jubelfeier des fünfzigjährigen Anschlusses der Rheinlande an die preußische Monarchie, wurdet"" das Vorhaben gewaltsam verhindert. Und so stark fühlte sich der Minister trotz des Widerstandes der Volksvertretung nnd der Schmähungen und Anfeindungen, die von allen Seiten über das „Jnnkcrrcgiment" ergingen, daß er zu gleicher Zeit gegen Oesterreich in einer Weise vorging, die dasselbe entweder zu noch weiterer Nachgiebigkeit oder zur Ergreifung der Waffen führen mußte. Wir haben gesehen, wie sehr die Februarvcrfaffung der nichtdcutschen Be-^'üjE Mennig des Kaiserstaats widerstrebte. Als nun der Wiener Rcichsrath in Ministerium bm Verhandlungen über die österreichische Finanzlage gegen das Ministerium Schmerling eine eben so verurthcilcndc Kritik übte und die Schäden der Vcrwal- l»ng in eben so schonungsloser Weise offen legte, wie das Abgeordnetenhaus in Berlin, reifte in den Hofkreiscn, wo der aus dem bürgerlichen Mittelstände hcr- dorgeglmgene Ministerpräsident wenig Gönner zählte, der Plan, sich des unbe quemen Reichstages zu entledigen und den Versuch zu machen, mit Ungarn in "ähm Beziehung zu treten. Durch Zugeständnisse hoffte man den alten Groll 'M tilgen und durch Freundlichkeit und schmeichelndes Entgegenkommen die ritter- Uche Nation zu gewinnen. Was Bismarck einst in einer vertraulichen Unter- ^dimg geäußert hatte, Oesterreich möchte den Schwerpunkt des Reichs von Wien "ach Ofen verlegen, schien jetzt zur Wahrheit zu werden. Ein mit großer Fcier- ^keit und Ostentativ« unternommener Besuch des Kaisers in Pcsth nnd die^m. ^Hebung des Grafen Mailath zum ungarischen Hofkanzler an Stelle des Grafen ^chy war die Einleitung zu einem Minister- und Systemwcchscl. Schmerling ""b seine gleichgesinnten College» nahmen ihre Entlassung, und der böhmische ^wf Belcredi, ein Staatsmann von hocharistokratischen Ansichten, erhielt ^ige Wochen nachher den Auftrag, ein neues Ministerium zu bilden. Der Name „Drei-Grafcn-Ministerium", den man dem neuen Cabinet sBelcrcdi, Irisch, Mcnsdorff-Pouilly) beilegte, bezeichnet seinen altconservativen födcra- chlischen Charakter mit dem System der nationalen Scheidung und staatlichen Wider, Wellgeschichle. XV. 56 .vN>l