Volltext Seite (XML)
72 Zwischen zwei Revolutionen. überhaupt überlebt, daß sie in dein Entwickelungsprozeß, welchen sic in ihrem geschichtlichen Verlauf dnrchgcmacht habe», sich gegenseitig au einander zerriebe» haben, und daß schließlich das Wesen des Christenthums überhaupt nicht in einem symbolisch fixirlcn und systematisch ausgebildeten Lchrbegriff gesucht wer den dürfe. Noch weniger gelangte die schon vor dem Schlüsse vertagte Synode dazu, durch Begründung einer wirklichen Synodal- nnd Presbytcrialvcrfassung die Gemeinden am kirchlichen Leben zu bethciligeu. So war die einzige praktische Folge der Synode ein im Januar 1848 zusammentrctcndcs Oberconsistorium, welches dann — seit 1850 in einen Oberkirchcnrath verwandelt — die preußische Landeskirche nach Gutdünken regierte. Kein Wunder, wenn die mit so große» Hoffnungen begrüßte Gcneralsynode ohne Wirkung auf das preußische Volk blieb, es sei denu, daß sic dazu bcigetrageu hätte, jenen allgemeinen Pessimis mus herbcizuführen, mit welchem mau nunmehr ein Menschenalter lang de» Gang der kirchlichen Dinge betrachtet hat. Die B-W-. Wie unter der vorigen Regierung der Eifer, womit die Unionssache betriebe» «>chM-m>dk! wurde, die Opposition der Aitiutherancr hervorricf, so hatte unter der folgenden der ganze Geist, in welchem sic das Kirchcnregimcnt handhabte, eine der orthodoxen Hof- und Consistorialkirchc entgegengesetzte Bewegung zur Folge, an deren Spitze alte Ra tionalisten aus Wcgscheider's Schule standen, welche, mit scharfer Witterung für die Dinge, die da kommen sollten, begabt, seit 1841 öffentliche Confercnzen veranstalteten und zur Beförderung eines vernunftgemäßen praktischen Christcnthums nach den For derungen des Zeitgeistes einen Verein „Protestantischer Freunde", auch „Lichtfrcundc" iibmchtgenannt, bildeten, dessen Seele der sächsische Prediger Uhlich war, ein ebenso frommer i7ss-isrL und einfacher, wie freisinniger, in seiner Lebensführung und amtlichen Wirksamkeit selbst von fanatischen Gegnern anerkannter Mann. Sein Panier war „der Rationalis mus des gesunden Menschenverstandes", seine Stütze der Mittelstand und die mächtige „Partei des Fortschritts". Ein stürmischer und rascher vorwärts eilendes Element vcr- Gusta» Adolf trat der Pfarrer Wislicenus zu Halle. Derselbe hielt auf einer von dreitausend "7^ Männern besuchten Versammlung in Köthen am 29. Mai 1844 einen Vortrag über das sogenannte formale Prinzip des Protestantismus, dessen Hauptmomente, in der Frage gipfelnd, ob Schrift, ob Geist, sehr lebhafte Verhandlungen veranlaßten. Was sonst dem Rationalisten seine Vernunft gewesen war, wurde hier, mit einem Anklang an die Philosophie Hegel's, die, seit kurzem in Preußen discrcditirt, auch ihre Ver treter in jenen Zusammenkünften hatte, Geist genannt. Da aber hierdurch das Schrist- prinzip umgcstoßcn erschien, brachte Guericke, der Altluthcraner von Halle, die Sache in der „Evangelischen Kirchenzeitung" vor und denuncirte die Lichtfreunde der Re gierung wegen förmlichen Abfalls vom Christenthum. Darauf wurden die zu Volksver sammlungen herangewachsencn Zusammenkünfte von der Regierung geschlossen und De monstrationen von orthodoxer Seite in Scene gesetzt, die nur eine noch viel groß artigere Protestbewegung auf der entgegengesetzten Seite zur Folge hatten, daran sich Alles bethciligte, was von Hcngstcnbcrg's Getriebe angcwidcrt und abgestoßcn war. Schließlich folgte noch, datirt vom 15. August 1845, eine besondere Erklärung, unterschrieben von siebcnundachtzig Notabeln, meist der Schleiermacher'schen Schule angehörig. Darin wurde gleichfalls der „Evangelischen Kirchenzcitung" die Hauptschuld der herrschenden Zersplitterung beigemessen; ihre eigene Fassung des Christenthums aber forinulirten die Unterzeichner dahin, daß zwar Christus der alleinige Grund des