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IV. Außereuropäische Slaaten (Jndobritischcs Reich!. 821 nung denken. Durch eine Proklamation der Königin wurde allen Aufständischen, die an der Ermordung britischer Unterthanen nicht unmittelbar Theil genommen und bis zum Januar 1859 zur Pflicht und zum Gehorsam zurückgekchrt sein würde», eine vollständige Amnestie und Vergessenheit aller Vergehen zugesichcrt. Dieselbe Proklamation brachte auch den Völkern in Hindostan und Dekhan ruf»»-»», die große Kunde, daß Königin Victoria mit Zustimmung ihres Parlaments bc- schloffen habe (durch die India dill vom 8. August 1858), das Privilegium der ostindischcn Compagnie auszuhcben, die Regierung in die eigene Hand zu' nehmen und durch einen besondcrn Staatssekretär und Rath für Indien besorgen zu lassen. Doch wurden alle Beamten der Compagnie in ihren Stellen bestätigt. Der Oberstatthalter wurde als „Vicekönig" zum Stellvertreter der Königin er nannt und den Unterthanen die Versicherung gegeben, daß für Alle, ohne Rück sicht auf Religion oder Abstammung, vollkommene Glaubensfreiheit und Rechts gleichheit bestehen nnd Niemand in seinem Besitz oder Recht, in seinen Sitten und Lebcnsordnungcn verletzt werden sollte. Das indische Reich hatte im Innern und nach Außen seit einem Jahrhundert so großartige Dimensionen angenommcn, daß die Kräfte der Gesellschaft nicht mehr zu genügen schienen. Ihre Zeit war vorüber, nur die Staats- und Regierungsgewalt einer europäischen Großmacht schien die erforderliche Kraft und Energie zu besitzen, die Eroberungen im fernen Osten zu behaupten. Nun wurden die Truppen, die bisher im Dienste der Compagnie gestanden, für die Königin in Eid und Pflicht genommen. Viele forderten jedoch ihren Abschied nnd zogen in die Heimath zurück, von der eng lischen Regierung, die ihren Abzug ungern sah, nicht nach Verdienst belohnt. Diese politische Maßregel schien geeignet, in der Verwaltung und im gesammten öffentlichen Leben Indiens eine neue Aera zu begründen. In Folge der neuen Organisation steht die Oberhoheit über ganz Hindostan bei der Königin und dem Ministerium unter Mitwirkung des Parlaments. Die indischen Fürsten traten somit zu der englischen Regierung in ein ähnliches Vcrhältniß, wie die hohe Aristokratie des Mutterlandes zu dem Staatsoberhaupte, eine Stellung, die auf das ganze Rcgicrungssystem, auf Recht und Gesetze des anglo-indischcn Reiches von eingreifenden Wirkungen sein mußte. Die mcdiatisirten Dynasten und ihre 8'anülien, durch Gesetze in ihrem Eigenthum, ihren Lehen und ihren Vorrechten sicher gestellt, werden den Verlust der Hoheitsrechte mit der Zeit verschmerzen, wenn die englische Regierung, nach dem Vorschläge des Obcrstatthalters, die einheimischen Großen zur Theilnahme an hohen Staatsämtern heranzuziehen suchen wird. Auf diese Weise wird Indien „aus der Stufe der Zwinghcrrschaft zu dem Range von Colonien" cmporsteigen. Diesem System entsprachen die Maßregeln, welche von der Zeit an die englische Regierung in Anwendung brachte: Sie suchte die indischen Besitzungen enger an das Mutterland zu knüpfen, durch zweckmäßige Einrichtungen nach europäischem Vorbild das Staats- und Rcchts- leben zu heben, und durch Eisenbahnen und Telegraphen, durch Verkehrswege,