Volltext Seite (XML)
II. Deutschland und die deutschen Großmächte. 741 Zeichen der Zufriedenheit; vielmehr freuten sich die nichtdeutschen Nationalitäten, daß sie sich nun nm so ungehemmter ihren Sondcrbestrcbungen hingebcn konnten. Und gerade darin lag für den Kaiserstaat das Verderbliche, daß durch die Auf hebung der Rcichsvcrfassung jedes Bewußtsein der Zusammengehörigkeit unter den Stämmen erstickt war. während das erwachte National- und Stammcs- gefühl in seiner vorigen Kraft blieb, daß die centrifugale Strömung mit großer Heftigkeit fortdancrte, während der hergcstelltc Absolutismus nicht mehr die alte überwältigende Kraft besaß. Als Fürst Schwarzenberg, der hochfahrende rück sichtslose Staatsmann, welcher das gcdcmüthigte Preußen zum Rang eines Mittelstaats herabdrücken wollte, plötzlich aus dem Leben schied, wurden unter seinem Nachfolger Graf Buol-Schauenstein Versuche gemacht, mit Preußen ein freundlicheres Vcrhältniß herbeizuführen. Der Kaiser stattete dem Berliner Hof einen Besuch ab, und der Finauzminister Baron Brnck, ein Elberfelder protestantischer Confcssion, der einst als Buchhändler in Bonn schlechte Geschäfte gemacht, dann aber während eines längeren Aufenthaltes in Triest durch Umsicht, Thätigkeit und Glück zu Vermögen und Ansehen gekommen war, suchte auf materiellem Gebiet bessere Beziehungen zu Preußen und Deutsch land anzuknüpfen. Aber die Kluft, welche die Jahre 1849 und 1850 ausge rissen, konnte nicht wieder geebnet werden. Und auch in Oesterreich selbst waren die alten Regiernngskünste nicht mehr wirksam. Das absolutistisch-klerikale Sy stem der Metternich'schen Zeit, dem vor Allem der Minister Alex. Bach, einst Demokratenhaupt in der Wiener Revolution, dann bekehrter Reaktionär und Papist, sowie der vieljährigeUntcrrichts- und Cultusminister Graf Leo Thun, der Jesuitenfreund, huldigten, hatte seine Macht verloren. Umsonst versuchte man in der überlieferten Weise durch strenge Gesetze über die Presse und das Vereins- Wesen die Geister in die alten Bande zu schlagen und wo die Aufregung die ge setzlichen Schranken durchbrach, wie in Italien, Ungarn und schließlich auch in Galizien, auf einige Zeit das Kriegsrccht malten zu lassen; es waren Mächte wach geworden, die sich nicht unterdrücken ließen, es waren Ideen von Freiheit und nationaler Selbstbestimmung in die Welt getreten, welche die Fes seln des alten Polizeistaats sprengten. Der Mordversuch, den Joseph LibenyiA^- ans Ungarn wider den Kaiser unternahm, als dieser sich auf den Festungswällen der Hauptstadt erging, war nicht die Folge einer Verschwörung, sondern nur die verbrecherische That eines Einzelnen; aber es war doch ein merkwürdiges Zeichen der herrschenden Aufregung in dem sonst so getreuen Oesterreich. Die Regierung erkannte auch bald, daß durchgreifende Reformen in allen Heungs- Zweigen des öffentlichen Lebens, wie in der Rechtsstellung der Unterthanen nicht länger zu umgehen seien, und sie ließ cs an Eifer und Thätigkeit nicht fehlen. Die Rechtspflege wurde durchgängig verbessert; in Ungarn suchte man durch eine neue Einthcilung in fünf Verwaltungsgebiete mit einem Oberstatthalter einen