Volltext Seite (XML)
II. Deutschland und die deutschen Großmächte. 737 war beissen, so viel als möglich den Interessen des Herrcnstandcs Rechnung zu tragen. Wenn übrigens die Minister und Landstände hofften, durch solche Concessionen den Adel zu befriedigen und von einem Sturm auf die Landesverfassung abzuhaltcn, so waren sie in großem Jrrthum; mit den Zugeständnissen stiegen seine Forderungen; das sichtbare Trachten, ihn zu beschwichtigen, erfüllte den Adel mit den Hoffnungen und Ansprüchen, alle verlornen Rechte wieder zu gewinnen. ES genügte nicht, daß man eine Revision der Verfassung in Aussicht stellte, worin die Erste Kammer im Interesse deS grundherrlichcn Adels eine gänzliche Umwandlung erfahren und das Wahlrecht ab geändert werden sollte; das ganze Verfassungswcrk sollte fallen. Selbst der König zögerte, diesen äußersten Schritt zu thun. Er ließ die Commissarien der Ritterschaften vor sich kommen und thcilte ihnen die Punkte mit, welche die Regierung zu gewährendem bereit sei. Da antwortete der Schatzralh v. Bothmer, wegen seiner hohen und ge bückten Gestalt und seiner frommen Richtung vom Volke „die lange Trauerweide" ge nannt, „in einem Tone, der an Reinecke Fuchs erinnert": Ihre Pflichten gegen die Monarchie, wie gegen den Glauben, in dem sic aufgewachsen, gegen das Land und dessen wahre Wohlfahrt verwehrten ihnen auf das Anerbieten einzugehcn. König Georg wurde gerührt durch die pathetische Bethcucrung der Treue und Anhänglichkeit der Ritterschaft an das Wclscnhaus und an das wahre Christenthum, und machte sich all mählich mit dem Gedanken vertraut, solche loyale Gesinnung würdig zu lohnen und die Ritterschaft wieder um seinen Thron zu schaaren. Doch mußte man vorsichtig zu Werke gehen. Da alle Versuche, die Stände selbst zu solchen Beschlüssen und Revisionen zu bringen, die dm Charakter und Zweck des Grundgesetzes vernichtet hätten, erfolglos waren und die Stimmung im Volke, wie sie sich durch die Wahlen kund gab, unruhige Austritte befürchten ließ, so mußte man sich zunächst der Bundcshülfe versichern und die Sache in solchen Gang leiten, daß die hannovcr'sche Regierung sich mit dem Scheine eines Zwanges durch die höhere Gewalt decken konnte. Die Ritterschaft hatte nämlich wiederholt bei dem Bundestag Beschwerde erhoben wegen Vorenthaltung ihres Zustimmungsrechts bei Verfassungsänderungen, sowie wegen Entziehung der Standschaft in der Ersten Kam mer. Die Hannover sche Regierung, vom Bundestag zur Erklärung ausgefordert, ant wortete in einer (von G. Zimmermann verfaßten) Denkschrift, daß die ritterschaftlichef^"b-. Beschwerde gegründet und die Verfaffungsurkunde vom Zahre 1848 nicht auf gesetz mäßige Weise zu Stande gekommen, somit nicht rcchtsbeständig sei. Zn Folge dieser Darlegung richtete der Bundestag, der sich in den Jahren 1838 und 1839 für in- competent erklärt hatte, in der Beschwerde des hannoverschen Volkes gegen den offen kundigen Verfassungsbruch einzuschreitcn, nunmehr an die hannovcr'sche Regierung die Aufforderung, die bestehende Verfassung und Gesetzgebung des Königreiches in der Art^^'^ abzuändcrn, daß sie mit den Grundgesetzen des Bundes übereinstimme und die ritter- schaftlichcn Beschwerden daraus entfernt würden. So war denn die Regierung auto- risirt, die verhaßte Verfassung, deren Rcchtsgültigkcit von dem König beschworen und wiederholt versichert worden, ins Grab zu legen. Die Ausführung wurde einem neuen Ministerium übertragen, dessen Seele Herr v. Borries war, ein Edelmann von mäßigen Gütern und Gaben, aber ein ergebener Diener seines königlichen Herrn, dessen pccuniärc Wünsche er aus alle Weise zu befriedigen suchte, und ein willfähriges Werkzeug der Junker und Ritter. Als Einleitung wurde der Bundcsbeschluß über Presse und Ver- einswcscn bekannt gemacht, thcils um die Willfährigkeit gegenüber dem Bundestage darzuthun, thcils um der aufgeregten Stimmung des Landes, die sich in zahllosen Adressen für Aufrechterhaltung der Verfassung aussprach, sicherer begegnen zu können. Dann erfolgte die Einberufung der Stände in der bisherigen Ordnung. Mit der fo^um größten Spannung erwartete das hannovcr'sche Volk die Entwickelung des Dramas, Webtr. Weltgeschichte. XV.