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II. Deutschland und die deutschen Großmächte. 723 r< s'^ »c - Ä u ' .«V Vorliebe die Privilegien des Adels pflegte, die Zustände einer hingcschwundencn Vergangenheit zurückführte und, befangen in der Vorstellung, daß die Königs gewalt ein Ausfluß göttlicher Gnade sei und die modernen Zcitidccn die Gefühle der Loyalität und Pietät zerstörten, im eigenen Lande wie in den andern Bun desstaaten das parlamentarische Leben zu einem wesenlosen Schatten hcrab- zudrücken bemüht war: so entbehrten die deutschen nationalen Bestrebungen eines festen Anhalts, einer concreten und realen Macht, an die sie sich an- klammern konnten. Das politische Nativnallebcn in Deutschland litt an zwei Gebrechen, ent- weder es strebte nach einer idealen Gcsammtstaatsform, die in den bestehenden Einrichtungen keine Stühe und keinen Halt hatte, oder es verzettelte und zer bröckelte die Kräfte in kleinlichen Kämpfen um geringfügige Resultate. Dort führten vage Ziele und Unklarheit der Mittel und Wege häufig zu einer Tren nung der Feldzeichen und Heerlager; im anderen Falle nahmen die politischen Handlungen oft den Charakter des Persönlichen an, dem nicht selten Sympathien und Antipathien ohne höhere Motive, Launen und Vorurtheile zur Folie dienten. Und so sehen wir denn über ein Jahrzehnt das klägliche Schauspiel, daß sich die Kraft des deutschen Volkes abmüht und verzehrt, thcils um der Rcaction in den Einzelstaaten den vollständigen Sieg zu erschweren und wenigstens einige Trüm mer der errungenen Freiheiten und Verfassungen auf politischem, religiösem oder socialem Gebiete vor dem Untergang zu retten; theils um eine Staatsordnung zu ersinne» und zu erschaffen, bei welcher unbeschadet des Sonderlebens der Stämme und Staaten die deutsche Nation als Gcsammtheit auftreten und im europäischen Staaten- und Völkerbund eine ihrer Größe, Macht und Bildung entsprechende Stellung einnehmcn möchte. Es war ein trauriges Schauspiel in den Jahren, da anderswo große Thaten geschahen, das deutsche Volk auf der eigenen Erde dahinjagen zu sehen, um wie die Schatten der Fabelwelt nach seiner leiblichen Hülle, seinem Staat, zu suchen. Aber wie sehr man auch die Forder ungen beschränkte, wie weit man den Traum von einem deutschen Bundesstaat mit monarchischer Spitze von sich warf und vorerst nur auf einer einheitlichen Kriegführung und auf einer politischen und diplomatischen Vertretung gegenüber dem Ausland bestand; auch die bescheidensten Ansprüche zerschellten an den Souveränetätsrcchten der Fürsten, an dem Mangel realer Grundlagen, an der Abneigung der Regierungen, den wenn auch noch so gerechten Volkswünschen entgegen zu kommen. Und als die Vorgänge in Italien, wo die nationale Einigung wunderbar rasch vollzogen war, auch in Deutschland gar mancherlei Gefühle und Betrachtungen auf die Oberfläche trieben und die allgemeine Auf regung einen Blick in die Gemüther des Volks thun ließ; da trat es wieder von Neuem mit entsetzlicher Klarheit zu Tage, wie rath- und hülflos die deutsche Nation in allen Fragen des politischen Gesammtlebens dastand, so lange nicht der Zwiespalt zwischen den Großmächten ausgeglichen, so lange nicht eine Form 46' -B", ' .F