I. Die West Mächte und Rußland. 701 griechischen Confessio» abweichenden Lchrbcgriffe verfuhr, mit welchem Glaubcns- druck er die russische Kirche zu mehren und zur Alleinherrschaft zu führen beflissen war, wie er gegen die Juden Menschenrechte und Humanität in Staub trat. Solcher Geistes- und Gcwisscnsdruck widerstrebte dem Charakter Alexander s II. und wenn er auch nicht alle Fesseln abstrcifen konnte, so suchte er doch auf dem Gebiete der Religion wie der Gedanken Raum zu schaffen für freiere Lcbens- regungen, für freiheitliche Entwickelung und räumte dem Gewissen nnd dem Denkvermögen größere Rechte ein. Nicht nur, daß er den christlichen Kirchen anderen Bekenntnisses, sowohl der römisch-katholischen als der evangelisch-pro testantischen, gestattete, nach ihren Lehr- und Glaubcnsformen zu leben und die Kirchenvcrfafsung unter eigenen Beamten auszuführen und walten zu lassen; auch die Zwangsgcschc gegen die Juden wurden gemildert und wesentliche Schritte zu ihrer Gleichstellung gethan. Noch wirksamer waren die Maßregeln zur Be förderung der Volksaufklärung. Nicht allein, daß mau die Einführung fremder Druckwerke erleichterte und das System der Ueberwachung und Ccnsur in libera lerer Weise anwandte, wodurch der deutschen Wissenschaft und Literatur eine größere Verbreitung und neben den russischen und französischen Schriften eine Stelle eingcrämnt ward; auch gegen die Presse des Inlandes wurden die Ver ordnungen des früheren Regiments in milderem Sinne gehandhabt, so daß bald die Zahl der Zeitungen und periodischen Schriften in russischer Sprache bedeutend zunahm. Die Reisen nach dem Auslande mehrten sich, seitdem die Pässe nicht mehr um so hohe Summen erworben werden mußten, und auch die Zahl der nach Rußland reisenden oder einwandcrnden Fremden stieg, seitdem nicht mehr eine argwöhnische Polizei jeden Kommenden und Gehenden mit Argusaugen beobachtete und überwachte, vielmehr die Hindernisse beseitigt wurden, welche der Niederlassung und Ausässigmachung der Ausländer im Wege standen. Dadurch wurde der Austausch der Gedanken, Kenntnisse und Erfahrungen erleichtert. Zugleich war man auf Hebung des Unterrichts unter allen Klassen des Volkes bedacht, theils durch Verbesserung und Mehrung der Schulen, besonders der Mittelschulen, theils durch Aussendung von Lehrern, welche mit Staatsuntcr- stuhung in Deutschland und andern Ländern sich über das Unterrichtswesen Erfahrungen sammeln und sich zugleich in den verschiedenen Lehrfächern weiter ausbilden sollten. Dies hatte zur Folge, daß deutsche Schuleinrichtungen und Methode» niehr und mehr Anerkennung und Geltung fanden. Die schwierige Finanzlage suchte man durch Zinshcrabseßung bei den Reichsbanken und durch Hcrbeiziehung fremder Capitalicn und Handelsgesellschaften zu bessern. Als am 20. September 1862 zu Nowgorod das tausendjährige Bestehen des Reiches gefeiert ward, wurde zur Erweckung des Vertrauens zum erstcmnal ein voll ständiges Reichsbudget veröffentlicht. Auch eine Reform der Rechtspflege mittelst Einführung von Friedens- und Geschwornengerichtm wurde in Angriff genommen, wodurch die Sicherheit des Cigenthums eine größere Bürgschaft er-