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I. Die Wcsnnächtc und Rußland. 697 heben oder zu mindern , welche der bewegliche Charakter des Volkes, die Armuth des dürftig angcbautcn Landes und die schlimme Finanzlage bei der hohen Nationalschuld schufen. Bei dem sichtbaren Hinsinkcn des osmanischen Reiches glaubten die Griechen zu einer künftigen Wcltstellung berufen zu sein, die sie unter Otto's friedlichem Sccptcr nie erlangen konnten. Es bildete sich daher eine weitverzweigte Verschwörung, die im Heere viele Genoßen zählte und, da Rußland dem ehrgeizigen Traume eines byzavtini- schen Reiches widerstrebte, ihre Blicke auf England warf. Die Seele derselben war der alte Secheld Kanaris. Im Februar 1862 brach in Rauplia eine Militärrevolte auS, die erst im April unterdrückt werden konnte. Die Nachsicht, die der König dabei be wies, indem er eine ausgedehnte Amnestie crtheilte und dann, den Volkswünschcn ent sprechend, die Errichtung einer Nationalgarde vorbereitete, ermuthigte Andere zur Nachahmung. Im Octobcr, als der König auf einer Rundreise durch den Pelopon nes begriffen war, brachen Aufstände in Vonizza, Patras, Korinth und endlich in Athen aus; es bildete sich eine provisorische Regierung, deren erster Act die Thron- v-wr. tsar. Mischung Otto's war. Auf die Kunde davon eilte der König nach dem Piräeus; aber auf den Rath der Gesandten gab er bald den Gedanken eines Widerstandes auf. In Salamis machte er durch eine letzte Proclamation den Griechen seinen Entschluß kund, in sein Vaterland zurückzukchrcn, und bestieg dann ein englisches Schiff, das ihn nach Triest brachte- Die Umwälzung ging ohne Blutvergießen und Gewaltthat vor sich und wurde von den europäischen Mächten als vollendete Thatsache hingcnommcn, hatte aber auch keine weiteren Folgen, als daß sich die Griechen nach einem andern König umsahen. Die neue Regierung erkannte bald, daß zu einem Angriff gegen die Türkei die ihr zu Gebote stehenden Mittel unzulänglich seien. Ihre nächste Sorge war daher, den er ledigten Thron wieder zu besetzen. Ohne die Bestimmung der Verfassung zu beachten, nach welcher der jüngere Bruder des kinderlosen Königs Otto, Adalbert von Baiern, zum Thronfolger berufen war, richteten die Griechen zuerst ihre Blicke aus den eng lischen Prinzen Alfred. In England schien man dem Vorhaben nicht abgeneigt zu sein; als aber Rußland für den Herzog von Leuchtenberg wirkte, den auch Frankreich begün stigte, gab man den Gedanken auf. Nun kamen die drei Regierungen überein, daß sie an den früheren Vertrügen, kraft deren die regierenden Familien der Schutzmächtc vom griechischen Thron gleichmäßig ausgeschloffen sein sollten, festhalten wollten, wo rauf die schriftliche Verzichtleistung erfolgte. Da aber das englische Cabinct zu vcr- stehen gab, daß, falls die Königswahl nach seinen Wünschen ausfalle, cs in die Ver einigung der ionischen Inseln mit Griechenland willigen würde, so blieb sein Einfluß vorwiegend. Aber umsonst bemühte es sich, unter den Gliedern des Hauses Sachsen- Coburg den Griechen einen König zu finden, indem cs zuerst den König von Portugal, dann den Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha vorschlug. Beide lehnten die wenig bcncidenswerthe Krone ab. Endlich wurde der zweite Sohn des durch den Lon doner Vertrag zum König von Dänemark bestimmten Christian von Glücksburg, ein Bruder der Gemahlin des Prinzen von Wales, zur Annahme der griechischen Krone bewogen. Von der hellenischen Nationalversammlung und von den drei Schutzmächtcn als König von Griechenland unter dem Namen Georg l. anerkannt, begab sich dcrao.MSn junge Fürst nach Athen, wo er im October anlangte und die Zügel der Herrschaft mit Eßni. schwachen Händen ergriff. Großbritannien entsagte nunmehr seiner Schutzherrschaft über die Republik der ionischen Inseln und willigte in deren Vereinigung mit dem griechischen Königreich. Ob aber durch diesen Thronwechsel Griechenland sich aus dem Zustande der Zerrüttung und Unordnung emporzuhebcn vermag, ist sehr zweifelhaft. Vielmehr steht zu fürchten, daß cs immer mehr der Anarchie und Barbarei anheim-