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IV. Die Kunst im neunzehnten Jahrhundert. 597 Kirchen errichtete oder ausbautc Kölner Dom , alte Ritterburgen hcrstellte, schloß Marienburg; Hohenschwangau; Stolzenfels), altdeutsche Bilder und Kunstwerke sammelte. Der seit langer Zeit verstummten Glasmalerei gelang cs, „jene goldene Zunge zu lösen, welche so oft zum christlichen Gemüth geredet und die Wirkung der Chorgcsängc so mächtig unterstützt hatte". Acußere Umstände kamen dieser Richtung fördernd entgegen: Es war die Zeit der Knechtschaft unter französischen Waffen, in der man im Gebiete des Geistes diejenige Freiheit zu suchen genöthigt ward, deren man nach Außen entbehrte, in der man sich an dem Glanze der Vorzeit wieder aufzurichtcn strebte und aus der geistigen Liefe derselben Kraft und Stärke zum Widerstande in sich aufnahm. War es auch eine Verkehrtheit, wenn Friedrich Schlegel, Tieck u. A. in Raphael und Michel Angelo schon die Spuren des Verfalls erblickten und, die Verwirklichung ihrer Ideale in der Vergangenheit suchend, die Nachbildung der vom Geiste des Chri- stenlhmns beseelten Kunst des Mittelalters als den einzig richtigen Weg darstelltcn und statt der Antiken die in Zeichnungen und Formen so unvollkommene vor- raphaclische Kunstzeit als Vorbild empfahlen, so bereicherte die Romantik ande rerseits das Kunstgebict mit neuen Elementen, legte den Idee», dem inneren Sinn und Gedanken höhere Bedeutung bei, entfaltete ein tieferes Gcmnths- und Seelenleben und verhinderte, daß über der formalen Vollendung der geistige In halt vernachlässigt ward. So kämpften die beiden Schulen, die klassische und die romantische, eine Ricklmig-n Zeit lang um die ausschließliche Herrschaft, bis man zu der Einsicht kam, daß beide, richtig verstanden und richtig angcwendet, gleiche Berechtigung in sich trü gen, daß das Fehlerhafte nur in ihrer Einseitigkeit und ausschließlichen Geltung bestände, und man sich zu einem Vergleich vereinigte, beruhend auf der Gcmein- gültigkeit des Grundsatzes: „daß nur das im Geiste Ergriffene und wahrhaft Empfundene als wahre Kunstdarstellung erscheinen kann, daß aber dazu auch »othwendig Vollkommenheit der Form gehöre, als deren Basis gründliche und richtige Zeichnung zu betrachten sei." Und wie Romanticismus und Llassicismus die Kunstmelt in zwei Heerlager schieden, so auch der Gegensatz von Idealismus und Realismus. In den Tagen des politischen Stilllebens, als die persönlichen Empfindungen nicht durch große geschichtliche Ereignisse zurückgedrängt wurden und die Gefühle und Stimmungen des Einzelnen wie in der Poesie so im ge- sammtcn Seelenleben von übermächtiger Bedeutung schienen, da trat der subjec- tive Idealismus iu den Vordergrund des künstlerischen Schaffens, bis größere Zeitereignisse auch dem Leben einen höheren Schwung gaben und hie Erschei- uungen des Tages und die praktischen Wirklichkeiten der Außenwelt die Seele über die engen Anliegen und den beschränkten Gesichtskreis der Individualität kmporhoben. Aus dem Widerstreit kam man endlich zu der Einsicht, daß das Eine wie das Andere ans Abwege führe, daß die echte Kunstübung, der unsere Zeit znstrebt, bemüht sein müsse, auch diese Gegensätze harmonisch zu ver-