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I. Weltlage. Socialismus. Religion und Kirche. 41 waren als neue Waffen der Kirche eingcfnhrt worden und hatten sich im Kampfe bewährt. Um so kirchenfcindlichcr zeigte sich freilich die Oppositionspartei, so wohl Liberale als Republikaner. Namhafte Gelehrte und talentvolle Schrift steller, wie der Geschichtschreiber Michelet und der dichterische Philosoph Quinet, zogen gegen Kirchenthum und Jesuitismus zu Felde und setzten, unterstützt von dem liberalen Staatsmamie Thiers, einen Kammcrbcschluß durch, wornach dieM-msrs. Gesetze über unerlaubte Gesellschaften gegen die Jesuiten in Anwendung gebracht werden sollten. Bereits aber hatten diese in den regierenden Kreisen sich eine solche Stütze zu erwerben gewußt, daß der erwähnte Kammerbeschluß nur Ver anlassung zu einem trügerischen Abkommen mit Rom gab, in Folge dessen eine Anzahl von Jesuiten das Land verließen, auch einige Jesuitcnhäuser sich schlossen, die Ordensherrcn selbst aber ihr Wesen nur vorsichtiger fortsetzten. Dieses Resultat wurde zwar von der Regierungspresse als ein glänzender Triumph gefeiert, aber Jedermann erkannte das unwürdige Spiel, welches mit der Nation getrieben worden war, und noch höher stieg die Entrüstung, als Ludwig Philipp und sein Minister Guizot sich des Ordens sogar in der Schweiz, wo er Anlaß zum Sonderbundskrieg geworden war, annahmen. Kein Wunder daher, wenn die in Frankreich aufkommende republikanische Literatur mit der Zeit einen auflösenden Charakter annahm. In ihren Ausläufern suchte sie geradezu an die Stelle der großen sittlichen Vereine von Staat und Kirche künstlich herzustellende Genossenschaften mit weltlichen socialen Zwecken zu setzen und die himmlische Religion durch eine irdische Glückseligkcitslehre (Eudämonis mus) zu verdrängen. Das Land, pn welchem die Ucbcrlcgcnhcit der römischen Kirchcnpolitik über den Belgien, modernen Liberalismus in vorbildlicher Weise zur Erscheinung kommen sollte, ist Bel gien. Hier hatte der ultramontane Klerus gegen die holländische Regierung, welche die Jesuiten vertrieb und dem Fanatismus der Geistlichkeit durch einen ihr zwangs weise auferlcgten Bildungsgang entgegcnarbcitcte, mit den Liberalen gemeine Sache gemacht und dadurch die Trennung der beiden Königreiche herbeigcsührt (XIV, 823 f.). Somit war erstmalig auch in der Praxis versucht worden, was sich später in Deutsch land und anderswo wiederholen sollte, der Bund der Kirche mit der Revolution. Als dann Dank der errungenen Freizügigkeit für die geistlichen Orden und durch den freiesten Spielraum für die Missionswirksamkeit eine mehr als hinreichende und den geistlichen Führern ganz ergebene „pästliche Armee" im Lande herangebildct war, konnte man auf das unnatürliche Bündniß mit dem Liberalismus wieder verzichten. Zu spät merkten die Liberalen, mit welchen gefährlichen Bundesgenossen sie sich eingelassen, als der bel gische Klerus die Freiheit des Unterrichts sich zu Nutze machte, um die Erziehung der Jugend so gut wie vollständig nach seinen Grundsätzen einzurichten und somit die gei stige Lebensthätigkeit der künftigen Geschlechter nach seinem Sinne zu bestimmen, und als Bischöfe ihre Macht zur Ausschließung freisinniger Geistlichen von Kirchcnämtern mißbrauchten und den als „Freimaurer" bezeichneten aufgeklärten Liberalen die Abso lution versagten. Der Traum einer freien Universität, der erst ein Menschenalter später die katholischen Gcneralversammlungeu für Deutschland lebhaft bewegte, fand in Bel gien schon 1834 eine glänzende Erfüllung. Als Gegengewicht gegen das päpstliche